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Empfehlung des Robert-Koch-Instituts

Vorgehensweise bei Verdacht auf Kontamination mit gefährlichen Erregern (z.B. Verdacht auf bioterroristischen Anschlag. Stand 14.06.2002

Die nachfolgend beschriebenen Maßnahmen stellen Empfehlungen dar. Im einzelnen haben die verantwortlichen Einsatzkräfte gemäß der Situation zu bestimmen, ob diese oder andere gleichwertige Maßnahmen zu ergreifen sind. Dabei sind die in den Ländern bereits bestehenden Anweisungen und Vorschriften zu beachten.

1. Vorgehen im Fall einer angedrohten oder vermuteten, nicht labordiagnostisch bestätigten Kontamination mit gefährlichen Erregern.

Solange nur der Verdacht  einer Exposition mit gefährlichen Erregern besteht, d.h. weder eine konkrete Infektion bei einem Patienten bestätigt wurde, noch konkrete Erreger in Umgebungsuntersuchungen nachgewiesen wurden, wird folgendes Vorgehen empfohlen.

1.1 Umgang mit verdächtigen Gegenständen

Für Personen mit Erstkontakt:

  • Verdächtige Gegenstände dürfen nicht berührt, vor allem aber Behältnisse (z.B. Briefe) nicht geöffnet werden.

  • Andere Personen, außer hinzugerufene Aufsichtspersonen oder Einsatzkräfte, sind fernzuhalten.

  • Die Polizei sollte umgehend informiert werden. Hauseigene Informationswege und Dienstanweisungen sind zu beachten. Die Einsatzkräfte vor Ort entscheiden nach Sichtung des Gegenstandes und der Situation, ob eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit von Personen gegeben oder zu befürchten ist.

  • Besteht nach Einschätzung der Einsatzkräfte der Verdacht auf einen sprengstoff- und / oder radioaktiven Gegenstand, so werden die diesbezüglichen Spezialeinsatzkräfte hinzugerufen.

  • Besteht zusätzlich oder statt dessen nach Einschätzung der Einsatzkräfte der Verdacht auf eine gefährliche biologische oder chemische Kontamination, so ist der Gegenstand unverändert und gesichert am Ort zu belassen, bis das weitere Vorgehen mit anderen zuständigen Stellen (z.B. Gesundheitsamt) abgesprochen wurde.

  • Der Fundort sollte bis zum Abschluss der notwendigen Maßnahmen im Rahmen der gegebenen Ortsverhältnisse abgesperrt werden.

  • Personen, die sich beim Auffinden des Gegenstandes innerhalb des Raumes aufgehalten haben, sollten (z.B. in einem Nebenraum) warten, bis die Einsatzkräfte das weitere Vorgehen bestimmen. Personen, die den fraglichen Gegenstand berührt haben, sollten sich die Hände mit Seife waschen (weiteres Vorgehen siehe unten).

1.2. Sicherung (Asservierung) und Transport des verdächtigen Gegenstandes

Für das Fachpersonal der zuständigen Einsatzkräfte:

Als erstes sollte eine Risikoanalyse durchgeführt werden. Hierbei wird unterschieden zwischen

  • Vorgehen bei geschlossenem Behältnis (Umschlag, Päckchen)

  • Vorgehen bei geöffneten Behältnis

  • Vorgehen bei aktiver Verstäubung oder Vernebelung

1.2.1. Vorgehen bei geschlossenem Behältnis (Umschlag, Päckchen)

Hier ist das Risiko einer Exposition mit Krankheitserregern in der Regel gering. Der Gegenstand sollte in folgender Weise asserviert werden:

  • Anlegen von doppelten Einweghandschuhen (ggf. Schutzkittel, Einmal-Overall).

  • Verbringen des Gegenstandes in einem reißfesten Plastikbeutel (gegebenenfalls Frischhaltebeutel, Müllbeutel oder Vergleichbares) geeigneter Größe. Druck auf den Inhalt ist zu vermeiden.

  • Einbringen des sorgfältig verschlossenen ersten Plastikbeutels in einem zweiten, gleichfalls zu verschließenden Kunststoffbeutel.

  • Ausziehen des äußeren Handschuhpaares (das richtige Ausziehen von Handschuhen sollte geübt werden) und Entsorgung in den Plastiksack (siehe unten).

  • Einbringen des doppelten Beutels in eine geeignete, möglichst stoßfeste Umverpackung. Diese Umverpackung ist fest zu verschließen.

  • Beschriftung der Umverpackung mit Angaben zu Fundort, Datum und Uhrzeit.

  • Entsorgung des zweiten Handschuhpaares, des Schutzkittels/Overall sowie des Mund- und Nasenschutzes in einen Plastiksack. Einwegartikel und andere Schutzkleidung sollten an einem sicheren Ort (z.B. der Feuerwehr) asserviert werden, bis die Labordiagnostik abgeschlossen wurde. Bestätigt die Labordiagnostik die Exposition mit Milzbrandbakterien oder -sporen oder anderen gefährlichen Erregern, so sollten diese Materialen verbrannt oder autoklaviert werden (s. 2.1.7).

  • Händedesinfektion: Im Vordergrund steht der Schutz vor Kontamination durch Tragen von Handschuhen. Gründliches Händewaschen, anschließend Desinfektion mit 0,2 % Peressigsäure (z.B. Wofasteril® 0,5 %), Einwirkzeit 2 x 1 Minute, anschließend Flächendesinfektion des Waschbeckens.

  • Die Flächen, mit denen der verdächtige Gegenstand in Berührung kam, sollten mit 1 %iger Peressigsäure (Einwirkzeit: 30 Minuten) oder mit 10 %iger wässriger Formaldehydlösung (Einwirkzeit: 2 Stunden) desinfiziert werden, andernfalls sollte die betroffene Räumlichkeit bis zum labordiagnostischen Ausschluss des Verdachts abgesperrt bleiben.

1.2.2. Vorgehen bei geöffneten Behältnis

  • In Ergänzung zum Vorgehen für geschlossene Behältnisse sollte eine partikelfiltrierende Halbmaske (FFP 3) getragen werden.

  • Anlegen eines der potentiellen Gefahr entsprechenden Einwegschutzanzuges (z.B. Overall).

  • Anschließend ist analog wie oben beschrieben vorzugehen.

  • Nach Asservierung der Proben sollte vor Ort entschieden werden, ob Flächendesinfektion ausreichend ist, oder ob der Raum, in dem das Behältnis gefunden wurde, bis zur Klärung der Situation verschlossen bleiben soll. Bei flächiger Ausbringung von verdächtigen Pulvern sollte dieses möglichst „feucht gebunden werden“, indem es mit Zellstoff o.ä. abgedeckt und mit Desinfektionsmittel (siehe 2.1.7) getränkt wird.

  • Es sollte in diesem Bereich jedes weitere unbeabsichtigte Verbreiten der Substanz / Erreger verhindert werden (z.B. Abschaltung der Klimaanlage, Verschließen von Fenstern und Türen). Ggf. geschieht dies durch entsprechende Absperrung, bis entsprechende Untersuchungen eine Kontamination ausschließen konnten.

  • Anschließend werden Handschuhe, Halbmaske und Einwegschutzanzug entsorgt bzw. asserviert (siehe Punkt 1.2.1).

1.2.3. Vorgehen bei aktiver Verstäubung oder Vernebelung

Die hier beschriebenen Maßnahmen sind, in Bezug auf Infektionsschutz, nur dann zu empfehlen, wenn davon ausgegangen werden muss, dass infektiöse Stäube oder Nebel bestehen. Nur wenn dies der Fall ist, sollten die umfangreichen, nachfolgend beschriebenen Maßnahmen eingeleitet werden.

Es sollten organisatorisch folgende Bereiche eingerichtet werden: Schwarzbereich (innerer Absperrbereich), Graubereich (Dekontaminationsstelle), Weißbereich (äußerer Absperrbereich).

Schwarzbereich:

Definition: Der Schwarzbereich ist derjenige Bereich innerhalb dessen angenommen werden muss, dass die Raumluft oder Oberflächen mit infektiösen Erregern kontaminiert sein könnten.

Vorgehen innerhalb des Schwarzbereiches:

  • Im Schwarzbereich sollte ein Schutzanzug getragen werden, der dicht mit einem Partikelfiltergerät mit Vollmaske (P 3) abschließt und den gesamten Körper der Einsatzperson  vor Aerosolen  und Stäuben schützt. (Ein Chemikalienschutzanzug mit positivem Druck ist in der Regel nicht notwendig.) Unter diesem Schutzanzug sollte ein Einwegoverall getragen werden.
  • Die Probennahme muss geeignet sein, erregerhaltiges Material zu sammeln (z.B. Abklatschproben, Tupferabstriche oder geeignete Luftproben). Diese soll von zuständigen Fachkräften vorgenommen werden.
  • Die Asservierung sollte analog wie oben beschrieben von zuständigen Fachkräften erfolgen.
  • Der Raum / Bereich sollte solange verschlossen / abgesperrt bleiben, bis nach Identifikation  der Substanz / Erreger über geeignete Desinfektions- oder Dekontaminationsmaßnahmen entschieden werden kann.
  • Es sollte verhindert werden, dass aus diesem Bereich weitere Substanzen oder Erreger verbreitet werden können (z.B. durch Abschaltung der Klimaanlage, Verschließen von Fenstern und Türen).

Graubereich:

Definition: Der Graubereich ist der Bereich, innerhalb dessen nicht von einer Kontamination der Raumluft oder der Oberflächen ausgegangen wird, der jedoch geeignet ist, Dekontaminationsmaßnahmen bei Personen und Geräten durchzuführen, ohne eine potentielle Kontamination der Umwelt zu erzeugen.

Innerhalb des Graubereiches ist folgendermaßen vorzugehen:

  • Hier erfolgt eine weitere Verpackung des Probenmaterials durch zusätzliches Personal.
  • Geschulte  Mitarbeiter in sprühdichten Einwegschutzanzügen mit Mundschutz und Einweghandschuhen waschen den Schutzanzug am Mann nach Einsatz ab. Dies sollte mit einem Desinfektionsmittel (siehe 2.1.7) getränkten Lappen erfolgen. (Achtung: Abspritzen mit hohem Druck (z.B. Kärchern) sollte vermieden werden). Das Abwasser muss in der Regel NICHT speziell entsorgt werden.
  • Die Mitarbeiter in Einwegschutzanzügen und Mundschutz wechseln ihre Handschuhe und entkleiden den Mitarbeiter, mit dem abgewaschenen Chemikalienschutzanzug. Letzterer trägt nach Entkleiden des Chemikalienschutzanzuges noch den Einwegoverall.
  • Alle Schutzanzüge und andere potenziell kontaminierte Gegenstände sollten wie die verdächtigen Gegenstände entsprechend verpackt, beschriftet und asserviert werden. (Bestätigt sich der Verdacht auf Kontamination mit biologischen Erregern durch labordiagnostische Untersuchung der Umgebung oder des verdächtigen Gegenstandes, oder wird eine entsprechende Kontamination oder Infektion bei exponierten Personen festgestellt, sollten Schutzanzüge und andere potentiell  kontaminierte Gerät zur Desinfektion bzw. Sterilisation mit Sattdampf bzw. mit Gasen (Ethylenoxid, Formalin) oder zum Verbrennen gebracht werden.)

Weißbereich:

Definition: Der Weißbereich gilt als nicht kontaminiert (z.B. abgesperrter Bereich für Einsatzkräfte).

Nach Ablegen der Schutzkleidung kann der nicht kontaminierte Weißbereich betreten werden.

1.2.4. Transport zum Labor

  • Proben oder zu untersuchende Gegenstände sollten zu den für das jeweilige Bundesland ausgewählten Laboreinrichtungen transportiert werden.
  • Zuvor ist mit dem jeweiligen Labor zu verabreden, wann und wie das Untersuchungsgut in das Labor zu bringen ist.
  • Findet der Transport durch Einsatzkräfte statt, gilt dies als „Notfallbeförderung zur Rettung menschlichen Lebens und der Umwelt“ und ist von Gefahrgutbestimmungen freigestellt. Die Außenverpackung sollte aus einem innen abgepolsterten, verschließbaren Behältnis aus Metall oder stabilen Kunststoff bestehen.
  • Beim Einsatz anderer Transportunternehmen wird die Verwendung einer bauartgeprüften Verpackung der Verpackungsgruppe 1 als Umverpackung.
  • Die Außenverpackung sollte entsprechend gekennzeichnet werden (z.B. „Gefahrgut-Probe“).
  • Die Fahrzeugführer sollten für die Beförderung besonders gut auf die zu beachtenden Vorsichtsmaßnahmen hingewiesen werden.
  • Entsprechend den Anforderungen sollte dem Behälter ein Materialbegleitschein mit Untersuchungsauftrag beigefügt werden.
  • Für den Transport des entsprechend verpackten Untersuchungsgutes bestehen keine besonderen Anforderungen an Fahrzeug oder Fahrer.
  • Ein erstes Ergebnis, das den Anschluss bakterieller Kontamination erlaubt, ist etwa 12 – 24 Stunden nach Beginn der Laboruntersuchung zu erwarten. Entsprechend ist darauf zu achten, dass der Transport innerhalb angemessener Zeit erfolgt.

1.2.5. Sicherung des Fundortes

Nach abgeschlossener Asservierung des verdächtigen Materials sollte unter Berücksichtigung  der Praktikabilität und betriebstechnischer Bedingungen entschieden werden, welche der beiden folgenden Optionen am sinnvollsten ist:

  • Absperrung des Raumes oder des Gebietes bis die labordiagnostischen  Untersuchungen ergeben gaben, dass der Verdacht auf eine Kontamination mit gefährlichen Erregern ausgeschlossen werden konnte.
  • Flächendesinfektion durch fachkundiges Personal. Hierfür wird 1 %ige Peressigsäure (Einwirkzeit: 30 Minuten) oder 10 %ige wässrige Formaldehydlösung (Einwirkzeit: 2 Stunden) empfohlen.

1.3 Potentiell exponierte Personen

1.3.1. Wer gilt als potentiell exponiert

Je nach Situation muss entschieden werden, welche Personen als potentiell exponiert einzuschätzen sind. Dabei wird folgendes Vorgehen empfohlen. Hierbei können Verantwortliche des Gesundheitsamtes fachkundig beraten:

Als „potentiell exponiert“ bei einem labordiagnostisch unbestätigten Vorfall zählen:

  • Personen, die direkten Kontakt  zum verdächtigen Gegenstand hatten,
  • Personen, die sich nach Öffnen des Gegenstandes im selben Raum aufgehalten haben,
  • Falls der konkrete Verdacht besteht, dass Raumluft kontaminiert ist, schließt dies alle Personen ein, die sich in Räumen aufgehalten haben, welche von diesem Raumbelüftungssystem versorgt werden.

Diese drei Kriterien gelten sowohl für Passanten oder andere Zivilpersonen, als auch Mitglieder der vor Ort tätig gewordenen Einsatzkräfte. Potentiell exponierte Personen sollten in der Regel NICHT prophylaktisch mit Antibiotika behandelt werden.

1.3.2 Prophylaktische Dekontamination

  • Personen, die den Gegenstand geöffnet oder den geöffneten Gegenstand ohne die oben genannten Schutzhandschuhe berührt haben sollten sich zur Händedekontamination die Hände sofort gründlich mit Seife waschen. Anschließend Händedesinfektion mit 0,2 %  Peressigsäure (Einwirkzeit: 2 x 1 Minute, anschließend Flächendesinfektion des Waschbeckens (s. 2.1.7).
  • Oberbekleidung von Personen, die mit dem Inhalt in Kontakt gekommen sein könnten sollte ausgezogen und in einem Plastikbeutel verpackt werden, der genau beschriftet wird, mit Träger der Kleidung (Adresse und Telefonnummer), Auflistung des Inhaltes, Datum und Ort des Verpackung). Diese Kleidung sollte an einem sicheren Ort (z.B. der Feuerwehr) verwahrt werden, bis labordiagnostisch der Verdacht auf Kontamination des verdächtigen Erregers ausgeschlossen werden konnte.
  • Da es bei einer Entkleidung zu einer möglichen Kontamination des Körpers gekommen sein könnte, wird empfohlen, dass Personen, die den Gegenstand geöffnet oder den geöffneten Gegenstand ohne Schutzmassnahmen berührt haben, zum nächstmöglichen Zeitpunkt duschen.

1.3.3. Erfassung

  • Von potentiell exponierten Personen sollten jene Daten erfasst werden, die notwendig sind um diese jederzeit und kurzfristig zu erreichen.

Diese Liste sollte mit dem Ort und Datum des Geschehens beschriftet werden und bei der Polizei, dem Gesundheitsamt oder einer anderen hierfür verantwortlichen Einrichtung vertraulich verwahrt werden.

1.3.4. Aufklärung

Es kann sinnvoll sein potentiell exponierte Personen ggf. vor Ort zu informieren, dass

  • Eine labordiagnostische Abklärung eingeleitet wurde, und erste Ergebnisse  nach etwa 48 Stunden zu erwarten sind.
  • Derzeit kein labordiagnostischer Hinweis auf einen biologischen Anschlag besteht.
  • Milzbrand nicht von einer Person auf die andere übertragen wird.
  • Sie vorläufig ihren Alltagsbeschäftigungen weiter nachgehen können.
  • Sie während der nächsten vier Tage erreichbar bleiben sollten (Beobachtung nach § 29 IfSG), beim Auftreten von Atembeschwerden oder Fieber umgehend ärztliche Hilfe aufgesucht werden soll und das Gesundheitsamt zu verständigen ist. (Dies gilt nur für die Personen, die als potentiell exponiert eingestuft wurden.)
  • Das Gesundheitsamt oder eine andere Stelle sie informieren wird, sobald der Verdacht auf Kontamination widerlegt oder bestätigt wurde. Ggf. kann empfohlen werden auf öffentliche Entwarnung durch die zuständigen Behörden in den lokalen Medien zu achten. Im Falle einer Entwarnung (Verdacht widerlegt) sind keine weiteren Folgen für die Gesundheit zu befürchten.
  • Der öffentliche Gesundheitsdienst sie kontaktieren wird, sofern weitere Maßnahmen notwendig sind.

Vorteilhaft wäre es, diese Informationen auf einem Merkblatt festzuhalten und den Betroffenen auszuhändigen. Ein Vorschlag für ein solches Merkblatt wird vom RKI den Landesgesundheitsbehörden zur Verfügung gestellt und kann in Form und Inhalt an die lokalen Bedürfnisse angepasst werden.

Quarantäne oder Hospitalisation für potentielle exponierte Personen ist aus infektionsepidemiologischen Gründen NICHT notwendig!

1.4. Weiteres Vorgehen, wenn labordiagnostische Untersuchungen KEINE gefährlichen Erreger oder Toxine nachweisen konnten

Von den Ergebnissen der labordiagnostischen Untersuchungen des verdächtigen Gegenstandes hängt das weitere bezüglich der potentiell exponierten  Personen und den im Einsatz verwendeten Kleidungsstücken, Schutzkleidungen und Geräten ab.

1.4.1. Vorgehen mit den identifizierten, potentiell exponierten Personen.

  • Diese sollten anhand der geführten Liste kontaktiert und darüber informiert werden, dass gemäß der labordiagnostischen Untersuchung kein Anhalt auf eine Gefährdung bestanden hat.
  • Die möglicherweise sichergestellten persönlichen Kleidungsstücke und Gegenstände können den Besitzern in der Regel wieder ausgehändigt werden.
  • Es kann sinnvoll sein, eine entsprechende Mitteilung ggf. auch in jenen Medien bekannt zu geben, die über den Einsatz berichtet haben.

1.4.2. Vorgehen mit den im Einsatz benutzten asservierten Kleidungsstücken, Schutzanzügen und Geräten.

Normale Kleidung kann wie gewöhnlich gewaschen oder gereinigt werden. Schutzkleidung und Gerät, die zum mehrfachen Gebrauch bestimmt sind, sollten wie üblich, bzw. vom Hersteller angegeben, aufbereitet oder gereinigt werden. Danach ist die weitere Verwendung der genannten Gegenstände möglich.

2. Vorgehen im Fall einer labordiagnostisch  bestätigten Kontamination oder Infektion mit Erregern, die eine Gefahr für exponierte Personen bedeuten könnten.

Ergeben weiterführende Untersuchungen, dass die Ausbringung der Erreger eine Gefahr für die Exponierten bedeuten, wird je nach dem identifiziertem Erreger folgendes Vorgehen empfohlen:

2.1. Labordiagnostisch bestätigte Kontamination oder Infektion mit Milzbrandbakterien oder -sporen sowie der dringende Verdacht hierauf

In Situationen, in denen

  • Bereits eine labordiagnostische Diagnose einer Milzbrandinfektion vorliegt, oder
  • Eine Kontamination eines Gegenstandes oder der Umgebung mit Milzbrandbakterien oder -sporen labordiagnostisch bestätigt wurde, oder
  • Andere direkte Hinweise auf eine stattgefundene Exposition mit Milzbrandbakterien oder -sporen vorliegen (die Wertung dieser Hinweise aus medizinischer Sicht sollte unter Mitwirkung des Gesundheitsamtes geschehen)

Erhalten die oben erfassten potentiell exponierten Personen nun den Status „gegenüber Milzbrandbakterien oder -sporen exponiert“. Für diese Personen sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

2.1.1. Kontaktierung der mit Milzbrand exponierten Personen

Anhand er oben erstellten Liste sollten die zunächst als potentiell exponiert eingestuften Personen umgehend kontaktiert werden, um folgende Maßnahmen durchzuführen:

2.1.2. Aufklärung

Die Personen sollten folgende Informationen erhalten:

  • Die Tatsache, dass sie nun als „exponiert“ gelten mit einer kurzen Begründung.
  • Erläuterung der im folgenden aufgeführten Maßnahmen
  • Versicherung, dass die untenstehenden Maßnahmen nur für jene Personen nötig sind, die als „exponiert“ eingestuft wurden. Kontaktpersonen dieser exponierten Personen bedürfen in der Regel keine weiteren Maßnahmen (Ausnahme siehe 2.1.3.). Milzbrand kann nicht über die Luft von einem Menschen auf den anderen übertragen werden!
  • Für Laien verständliche Information über Milzbrand.

2.1.3. Ausschluss von Kontamination und Infektion

  • Genaue Anamnese über mögliche Gegenstände oder Kleidungsstücke, die eventuell bei einer Asservierung oder Dekontamination nicht berücksichtigt wurden und Einschätzung des Risikos für Dritte. Ärztliche Inspektion der Haut auf Verletzungen und Infektionen.
  • Ärztlich klinische Untersuchung (Auskultation) auf pulmonale Symptome.
  • Fieber messen.
  • Ein negativer Nasen-Rachen-Abstrich schließt eine Infektion  nicht aus, so dass eine solche Untersuchung für die Indikation zur Chemoprophylaxe oder Therapie keine Bedeutung hat.

Falls die Untersuchung des Nasen-Rachen-Raumes einen Nachweis auf Bacillus species ergibt, muss sofort das Gesundheitsamt informiert werden und die betroffene Person umgehend eingehend ärztlich untersucht, überwacht und eine antibiotische Prophylaxe begonnen werden. Sollte sich herausstellen, dass eine apathogene Bacillus species nachgewiesen wurde, kann die antibiotische Prophylaxe beendet werden.

2.1.4. Chemoprophylaxe

Alle exponierten Personen – also in der Regel nur für den Fall, dass ein labordiagnostischer Hinweis auf eine Exposition mit Milzbrandbakterien oder -sporen besteht – sollten eine orale Chemoprophylaxe erhalten. Dauer der Chemoprophylaxe: 8 Wochen.

  • Ciprofloxacin 2 x 500 mg/pro Tag per os oder
  • Doxycyclin 2 x 100 mg/pro Tag per os (Kinder ab 9. Lebensjahr: 5 mg pro kg KG pro Tag in 2 Dosen) oder
  • Amoxicillin 3 x 100 mg/pro Tag per os (Kinder bis 8 Jahre: 40 mg pro kg KG pro Tag auf drei Tagesdosen verteilt)

In speziellen Situationen kann eine Modifikation oder vorzeitige Beendigung der Chemoprophylaxe erforderlich sein.

2.1.5. Symptom-Monitoring

Die exponierte Person muss informiert werden, dass sie für die Dauer der Prophylaxe selbstständig zweimal täglich Fieber misst. Bei folgenden Symptomen oder Beschwerden ist sofort ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (z.B. internistische Notaufnahme eines Krankenhauses):

  • Temperatur höher als 38,0° Celsius
  • Husten, Atemnot, sonstige Atembeschwerden
  • Juckender, sich vergrößernder Hautfleck, insbesondere an den Händen.

Das Gesundheitsamt ist hierüber unverzüglich zu informieren. Diese Empfehlung gilt ausschließlich für die Personen, die als „exponiert“ eingestuft wurden.

2.1.6. Maßnahmen bei Erkrankungsverdacht

Ärzte, die die Diagnose „Verdacht einer Milzbranderkrankung“ stellen, müssen selbstverständlich sofort eine entsprechende Behandlung einleiten, die beim Verdacht auf Lungenmilzbrand die i.v. Antibiotikatherapie und entsprechende supportive Maßnahmen einschließen. Zusätzlich müssen die feststellenden oder behandelnden Ärzte umgehend das zuständige Gesundheitsamt verständigen. Hierbei kann ggf. dir zuständige Polizeidienststelle behilflich sein. Das Robert-Koch-Institut steht ebenfalls über die ständig besetzte zentrale Rufnummer (Tel.: 030 / 4547-4 oder 01888 / 754-0) für Beratungen im Notfall zur Verfügung. Bezüglich der Krankenhaushygienemaßnahmen bei der Behandlung von Patienten, die an Milzbrand erkrankt sind, sei auf die Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, Anlage zu Ziffer 5.1 „Anforderung der Hygiene an die Infektionsprävention bei übertragbaren Krankheiten“ verwiesen. Eine abschließende Raumdesinfektion durch Verdampfen oder Vernebeln von Formaldehyd ist jedoch nicht erforderlich.

2.1.7. Desinfektionsmaßnahmen

Die asservierten, potentiell kontaminierten Gerätschaften und Schutzanzüge sollten zur Desinfektion mit Sattdampf (siehe Liste der vom Robert-Koch-Institut geprüften und anerkannten desinfektionsmittel und -verfahren) bzw. mit Gasen (Ethylenoxid, Formalin) oder zum Verbrennen gebracht werden.

  • Zur Desinfektion von Oberflächen wird 1 %ige Peressigsäure (Einwirkzeit: 30 Minuten) oder 10 %ige wässrige Formaldehydlösung (Einwirkzeit: 2 Stunden) empfohlen (siehe 1.2.1.).
  • Händehygiene: Im Vordergrund steht der Schutz vor Kontamination durch Tragen von Handschuhen. Zur Händedekontamination sind geeignet: Gründliches Händewaschen, anschließend Desinfektion mit 0,2 % Peressigsäure (z.B. Wofasteril® 0,5 %), Einwirkzeit 2 x 1 Minute, anschließend Flachendesinfektion des Waschbeckens.

2.1.8. Epidemiologische Untersuchung

Sobald eine labordiagnostische bestätigte Kontamination oder eine Infektion mit Milzbrandbakterien oder -sporen vorliegt oder diese aus anderen Gründen dringend vermutet wird, sollte umgehend eine epidemiologische Untersuchung und Intervention eingeleitet werden. Diese kann vom zuständigen Gesundheitsamt ggf. mit Unterstützung der Landesbehörden und des Robert Koch-Institutes durchgeführt und kann folgende Maßnahmen einschließen:

  • Bei Bedarf Abschätzung des wahrscheinlichsten Transmissionsweges,
  • Überprüfung der Liste der potentiell exponierten Personen auf Vollständigkeit,
  • Überprüfung, ob die Liste gemäß der inzwischen vorliegenden Kenntnisse eingeschränkt oder ausgeweitet werden muss,
  • Ausschluss von Sekundärinfektionen,
  • Umgebungsuntersuchungen nach Bedarf,
  • Indikationsstellung für Chemoprophylaxe,
  • Aufbau der Logistik, um die notwendige Chemoprophylaxe rasch und bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen,
  • Aufbau eines klinischen Frühwarnsystems, um klinisch apparente Fälle umgehend zu erkennen,
  • Organisation und Vorbereitung der medizinischen Versorgungsstrukturen.

Die hier aufgeführten Empfehlungen des Robert Koch-Institutes werden gemäß der Anforderung und neuer Erkenntnisse aktualisiert. Der aktuellste Stand der Empfehlung ist deshalb zu beachten. Die Einsatzkräfte haben letztlich die Kompetenz und Verantwortung zu entscheiden, welche Maßnahmen vor Ort zu ergreifen sind. Für Ärzte, Einsatzkräfte und den öffentlichen Gesundheitsdienst steht das Robert Koch-Institut rund um die Uhr für Beratungen zur Verfügung (Tel.: 030 / 4547-4 oder 01888 / 754-0).

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Copyright © 2007 Ralf Rebmann
Stand: 21. Oktober 2007