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Metaldehyd-Vergiftung (Enzephalitis durch Meta-Brennstoff). Bericht von P. Wolfer, Zürich. Unter dem Namen Meta wird ein fester Brennstoff in den Handel gebracht, der infolge seiner praktischen Eigenschaften eine große Verbreitung gefunden har. Dass ihm aber auch bei unzweckmäßiger Verwendung große Gefahren innewohnen, zeigen einige Mitteilungen in der Literatur und die folgende Beobachtung. Meta ist ein chemisch reiner Körper, Metaldehyd, ein Polymerisationsprodukt des Acetaldehyds von der Formel (CH3COH)4. Über die Toxizität des Metaldehyd orientieren die Werke von Kobert, Coppola, Fränkel, Erben, Oswald. Eingenommen führt er zu einer ausgesprochenen Erregung des Großhirns und des Rückenmarks. Sie zeigte sich in einer starken Erhöhung der Reflexerregbarkeit und geht in Krämpfe und Tetanus über. Ferner ist Pulsbeschleunigung, Atemnot, Zittern, Speichelfluss, Trismus und Opisthotonus beim Warmblüter Intoxikationsfolge. 0,15 g pro Kilogramm wirken beim Hund letal und tritt der Tod infolge im tetanischen Anfall ein. Meta hat nun dieselben toxischen Eigenschaften auf den menschlichen Organismus und wird nicht, wie vielfach angenommen wurde, in Alkohol und Azetaldehyd umgewandelt, sondern wirkt als solches.Es ruft eingenommen dieselben zerebralen Erscheinungen hervor und führt des ferneren zu schwerer hämorrhagischer Gastroenteritis. Das Intoxikationsbild illustriert folgende Beobachtung: Ein gesundes, kräftiges 4jähriges Mädchen verschluckt kurz nach dem Mittagessen, etwa 14 Uhr, ½ Tablette Meta im Gewicht von etwa 2 g. Etwa 16 Uhr stellten sich Magenstörungen und Brechen ohne besondere objektive Befunde ein. 19 Uhr tritt, nebst Brechen, auffallende Unruhe und motorischer Erregbarkeit ohne Reflexstörung ein. 20 Uhr tetanischer Krampfanfall, die Extremitäten werden herumgeworfen und verdreht, der Nacken ist gewölbt, der Kopf ins Kissen gebohrt, Trismus und Opisthotonus. Intensiver schmerzhafter Brech- und Würgreiz, der stundenlang anhält, schwindet und wieder auftritt. Aussehen im Anfall zyanotisch. Herz und Lungen o. B. Es entwickelt sich ein somnolenter Zustand. 22 Uhr neuer Anfall, diesem schließt sich eine starke und bleibende motorische Unruhe der Extremitäten an, die wie bei Chorea ständig herumgeworfen werden, ebenso ständiges Herumwerfen des Kopfes. Temperatur 38,6°. Puls 100 – 104.Auf Somnifen und Patopon (0,002) leichte Beruhigung bei Bestehen der choreatischen Unruhe. 5 Uhr des nächsten Tages neuer tetanischer Anfall, dem eine Steigerung der motorischen Erregung folgt. Sensorium völlig getrübt. 10 Uhr nochmaliger Anfall, der wiederum die Konvulsionen steigert. Innere Organe waren in diesem Zustand immer o. B. Urin ohne Eiweiß und Zucker. Azeton vorhanden. Keine Reflexsteigerung und keine pathologischen Reflexe, keine meningitischen Zeichen. Bis gegen Abend treten noch mehrfache Anfälle auf, worunter einer mit sehr bedrohlichem Charakter mit starker Zyanose und langen Atempausen, so dass künstliche Atmung nötig wird. Eine Lumbalpunktion schafft keine Erleichterung und zeigt sich kein abnormer Druck und Liquorbefund. Nach diesem Anfall steigerte sich die „Chorea“ in beängstigender Weise, Kopf und Extremitäten sind in ständiger Bewegung. Austrocknung. Temperatur steigt auf 40,4°. Puls gut 140 – 148. Erst gegen 24 Uhr tritt wieder eine gewisse Beruhigung auf Pantopon (0,004), sowie leichter Schlaf ein, ohne dass aber die motorischen Bewegungen sistieren. Am nächsten Morgen, also 40 Stunden nach Auftreten der ersten Intoxikationssymptome, scheint sich eine Beruhigung und ein Abflauen einzustellen. Sondenernährung wird möglich. Es zeigen sich jetzt heftige Bauchkrämpfe und Einziehung des Unterleibes. Mittags, etwa 44 Stunden post, treten wieder äußerst heftige Konvulsionen aber ohne tetanische Anfälle auf, die in unverminderter Intensität bis gegen Abend anhalten, dann Verbringung in die Kinderklinik. Dort tritt im Laufe des Abends und nach zweimal Applikation von 0,5 Chloral rektal endlich Beruhigung und Schlaf ein, ist leicht erweckbar und treten dann die Choreabewegungen wieder ein. Am nächsten Tag ist die Intoxikation abgeklungen und nur noch eine leichte Ataxie vorhanden. Rasche, restlose Erholung und auch jetzt 3 Jahre später sind keine Intoxikationsfolgen mehr festzustellen. Vom Auftreten der ersten Zeichen hat die Intoxikation bis zum Abklingen etwa 60 Stunden beansprucht und war das Befinden mehrmals so, dass auf keine Rettung mehr zu hoffen war. Übereinstimmend mit den Befunden bei Metaldehyd führt Meta zu einer schweren Enzephalitis, zu Konvulsionen und tetanischen Anfällen und zu vollständiger Benommenheit. Gegenüber diesen Symptomen treten die Magendarmerscheinungen ganz in den Hintergrund. Die Prognose einer einigermaßen schweren Intoxikation muss somit als sehr ernst bezeichnet werden, denn zu den schweren Hirnerscheinungen gesellt sich die Erschöpfung durch die Anfälle, Gefahr der Atemlähmung und sekundäre Kreislaufinsuffizienz. Die Therapie kann nur eine symptomatische sein; so wird durch Chloral, Somnifen, Pantopon eine gewisse Beruhigung erreicht. Um der Austrocknung entgegen zu arbeiten und um gleichzeitig eine Giftverdünnung zu erreichen, ist subkutane und rektale Applikation von Kochsalz und Traubenzucker nötig. Die Stimulation des Kreislaufes und der Atmung erfolgt, entsprechend dem Zustand durch Digitalis, Adrenalin, Kampher, Coramin, Lobelin, wobei diese Medikamente der Infusion beigefügt werden können. Eine wichtige Rolle kommt den Emetika und den Laxantia zu. Brechmittel sind dort indiziert, wo die Einnahme frühzeitig beobachtet wird (Gautier und Colomb), nachher in späteren Stadien scheint sie das durch die Intoxikation provozierte zentrale Brechen überflüssig zu machen. Ebenso ist von Laxantia nur in der Vorperiode, d.h. vor dem Brechen, ein Erfolg zu erwarten, mit Rücksicht auf die durch Meta erzeugte hämorrhagische Gostroenteritis sind milde Mittel zu bevorzugen. In experimentellen Versuchen konnte ich einen günstigeren Verlauf der Intoxikation durch Kalomel konstantieren, welches somit, frühzeitig gegeben, zu empfehlen wäre. Eine Magenspülung wurde nicht vorgenommen, weil das ständige Brechen diese Indikation erfüllte und der Zustand eine solche nicht ratsam machte. In Frühstadien und wenn der Zustand es erlaubt, ist sie vorzunehmen, immerhin ist wieder daran zu denken, dass in späteren Stadien durch die Schädigung der Magenschleimhaut durch Meta eine gewisse Perforationsgefahr besteht. So konnte ich zweimal experimentell eine Magenperforation durch Meta beobachten. Therapeutisch ist auch an Calcium intravenös zu denken. (Ausführlicher Bericht in Schweizer. Medizin. Wochenschr. 1927, Nr. 48, S. 1144) Quelle: Wolfer, P.: Tödliche Metaldehyd-Vergiftung (Enzephalitis durch Meta-Brennstoff). Sammlung von Vergiftungsfällen, A 32, Band 1, S. 73 - 75, 1930. |
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