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Dermatitis durch deutsche Primeln (Primula officinalis L.). Von Otto Geßner. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Marburg.) Im Frühling des Jahres 1934 beobachtete der praktische Arzt Dr. H. in B. bei Marburg bei dem neunjährigen Mädchen H. Sch. 20 – 30 Minuten, nachdem es einen Strauß selbstgepflückter Schlüsselblumen (Primula officinalis L.) in der Hand gehalten und daran gerochen hatte, an der Hand und im Gesicht eine fleckige Rötung. Diese Hautrötung trat an der Hand, mit der das Kind den Strauß gehalten hatte, nur dort auf, wo die Blüten die Hand berührt hatten. Auch im Gesicht fanden sich die roten Stellen in der Umgebung des Mundes und der Nase dort, wo beim „Riechen“ die Blüten mit der Haut in Berührung gekommen waren, hauptsächlich an der Oberlippe sowie rechts und links von den Mundwinkeln. Juckreiz oder Schmerzen waren mit der Hautrötung nicht verbunden. Die roten Stellen waren zunächst nicht erhaben, schwollen aber bald an. Es bildeten sich daraus Pusteln und am 2. Tage mit einer klaren Flüssigkeit gefüllte Bläschen. Am 3. Tage wurde der Inhalt der Bläschen gelblich, am 4. Tage eitrig. In diesem Stadium flossen die Bläschen zusammen und brachen teilweise auf, wobei sich ein unangenehmer Geruch bemerkbar machte. Am 5. Tage begann Borkenbildung, vom 7. Tage ab fielen die Borken ab, es blieben rote, nicht erhabene Hautstellen zurück, und zwar blieb die Rötung monatelang sichtbar. Juckreiz und Schmerzen bestanden während des ganzen Prozesses nicht. Im Frühjahr 1935 wurde bei demselben Kinde erneut die Einwirkung der Schlüsselblume auf die Haut geprüft. Das Kind musste einen selbstgepflückten Strauß von Schlüsselblumen (Primula officinalis L.) in der Hand halten und damit wie im Jahr zuvor beim „Riechen“ das Gesicht berühren. Wiederum trat etwa 20 – 30 Minuten später im Gesicht an den Stellen, wo die Blüten die Haut berührt hatten, Hautrötung auf. Am folgenden Tage zeigte sich keine Veränderung: die Rötung war nicht fortgeschritten, zur Pustel- und Blasenbildung kam es diesmal nicht. An der Hand war nicht einmal eine Hautrötung an den berührten Stellen aufgetreten. Das Kind hatte außer Masern und Keuchhusten keine Kinderkrankheiten durchgemacht. Die Masern verliefen ohne starkes Exanthem. Nie waren Hautausschläge aufgetreten, es bestand insbesondere keine Neigung zu Urticaria oder Stropholus, auch keine Idiosynkrasie gegen bestimmte Nahrungsmittel (z.B. Erdbeeren und Milch). Das Fehlen von Juckreiz und die geringe Reaktion der Haut bei der wiederholten Einwirkung der Primeln im vorliegenden Falle sprechen klar gegen eine Primeldermatitis, wie sie durch ausländische Zierprimeln, z.B. durch die chinesische Primula obconica Hance, bewirkt wird; denn die echte Primeldermatitis geht mit sehr starkem Juckreiz einher und außerdem tritt nach Touton (Touton: Beitr. Biol. d. Pflanzen, 17, 200 (1929) und Naturwiss. 1930, S. 828) bei den Menschen, die auf das Primelgift erstmalig reagiert haben, eine ganz erhebliche Empfindlichkeitssteigerung gegenüber wiederholter Einwirkung des Primelgiftes ein. Das wirksame Prinzip des Primelgiftes, das von Bloch und Karrer (Bloch und Karrer: Vierteljahrschr. schweiz. naturforsch. Ges. Zürich, 72, Beibl. Nr. 13, S. 1 – 26 (1927)) isolisierte kristallisierende, stickstofffreie Primin kommt im Sekret der Drüsenhaare der Primula obconica Hance vor. Primula officinalis L. besitzt zwar auch Drüsenhaare, diese enthalten aber nach Kobert (Kobert: Lehrb. d. Intoxikationen 1906, S. 519 – 523) und Nestler (Nestler: Ber. d. dtsch. botan. Ges. 18, 201 (1900) und Monogr. „Hautreizende Primeln“. Berlin 1904) kein Sekret, dagegen bisweilen Kristalle von oxalsaurem Kalk. Nach Nestler ist Hautreizung durch Primula officinalis L. und Primula Auricula L. nicht bekannt geworden, das Fehlen der Reizwirkung dieser einheimischen Primelarten wurde von Nestler auch experimentell bestätigt. Nach Touton bewirken folgende ausländische, z.T. bei uns als Zierpflanzen sehr beliebte Primelarten typische Primeldermatitis: Primula obconica Hance, Primula sinensis Lindl., Primula Sieboldii Morren und Primula corthusoides L. sämtlich aus Ostasien. Nach Kanngießer (Kanngießer: Korresp.-Bl. für Schweiz. Ärzte 41, 1041 (1911)) sollen auch die einheimischen Arten Primula officinalis L. und Primula Auricola L. Hauterscheinungen hervorrufen. Wenn dies in seltenen Fällen (wie auch im vorliegenden Falle) vorkommt, so kann daraus keineswegs der Schluss gezogen werden, dass die Ursache der durch Primula officinalis L. und Primula Auricula L. hervorgerufenen Hautreizung dieselbe ist wie bei der durch die oben aufgeführten ausländischen Primelarten erzeugten Primeldermatitis. Das Fehlen von Juckreiz und die schwache Reaktion bei wiederholter Einwirkung im vorliegenden Falle und die oben erwähnten Befunde von Nestler sprechen durchaus dagegen. Dass die Hautreizung in dem beschriebenen Falle gerade dort auftrat, wo die Blüten die Haut berührt hatten, und dass sich die Hautrötung schon nach 10 – 20 Minuten einstellte, spricht für ein leichtes Eindringen des (vielleicht flüchtigen?) wirksamen Prinzips in die Haut. Die Saponinstoffe der Primula officinalis, die in allen Teilen der Pflanze vorkommen, können wohl kaum für die Hautreizung verantwortlich gemacht werden, da Saponine an der unverletzten Haut, zumal in so kurzer Zeit, nicht so stark reizend wirken und da an den Stellen der Hand, an die der aus der abgerissenen Blütenstengeln austretende saponinhaltige Saft gelangen musste, keine Hautreizung aufgetreten war. Über die Ursache der hautreizenden Wirkung von Primula officinalis L. lässt sich somit bisher nichts aussagen. Im vorliegenden Falle dürfte eine Idiosynkrasie gegen einen bestimmten Bestandteil der bisher als reizlos geltenden Primula officinalis L. anzunehmen sein. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Otto Geßner, Pharmakologisches Institut der Universität Halle / Saale, Hindenburgstr. 22a. Quelle: Geßner, O.: Dermatitis durch deutsche Primeln (Primula officinalis L.). Sammlung Vergiftungsfälle, Band 7, A 650, S. 215 - 216, 1936. |
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