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Ein Fall von Cannabis indica-Vergiftung. Von Baker Bates. Vergiftungsunfälle mit indischem Hanf, der in England gewachsen ist, sind selten. Man nahm bisher an, dass in Europa gebaute Cannabis indica das wirksame Harz nicht bilden könne, und daher pharmakologisch kaum wirksam sei. Um so interessanter sind deshalb die folgenden Fälle vom toxikologischen Standpunkt. Ein junger Mann hatte das Buch „Chemie des Alltagslebens“ von J.F.W. Johnston gelesen, in welchem die Droge als „lustvermehrend, wunscherregend, freundschaftsfestigend, Lachen bringend und ausgelassene Fröhlichkeit verursachend“ geschildert wird. Dieser junge Mann verspürte nun Lust, die diesem Kraut zugeschriebenen Wirkungen auszuprobieren. Dazu sammelte er die Hanfkörnchen aus Papageienfutter und pflanzte sie im Juni in seinem Garten an. Im September war das Kraut bereits 1½ m hoch und blühte. Nun pflückte er Spitzen und Blätter ab, trocknete und zerkleinerte sie und machte Zigaretten daraus. Diese rauchte er. Hie und da verspürte er leichte Zeichen von Haschischvergiftung: Verlust des Zeit- und Raumgefühles, lebhafte Träume, Halluzinationen und darauffolgenden Dösigkeit, bzw. schwere Ansprechbarkeit. Der junge Mann schilderte seiner 22jährigen Braut seine Erfahrungen und Erlebnisse mit der Droge. Sie glaubte ihm jedoch nicht und rauchte aus Neugierde 2/3 einer Zigarette, die aus Spitzen hergestellt war. Dabei machte sie zum Teil Lungenzüge. Dies geschah um 1010 Uhr abends. Kurz darauf schlief sie ein. Bei einem Geräusch wachte sie plötzlich auf und erschrak. Sie machte den Eindruck einer Betrunkenen, war über Ort und Zeit desorientiert. Wahrscheinlich hatte sie halluziniert. 1025 Uhr wurde sie an die frische Luft geführt, wobei sie immer wieder laut lachte und sehr zu Zärtlichkeiten neigte. Ihre Sprache wurde infolge Trockenheit der Mundschleimhaut rauh und heiser, ihr Gang zunehmend ungleichmäßig und unsicher. Um 1030 Uhr brachte man sie zu einem Arzt. Man erzählte ihm den Hergang. Sie war sehr blass, konnte aber noch gehen und stehen, obwohl sie sehr schwindlig war. Sie war sehr erregt und gesprächig und machte steife und sinnlose Bewegungen mit den Händen. Bald war sie heiter, bald ängstlich, gab an, sie hätte das Gefühl eingesperrt zu sein, zeigte Defekte im Zeit- und Raumgefühl. Die Zeit schien ihr abnorm schnell zu vergehen. An Zunge und Mund hatte sie ein Gefühl der Austrocknung. Ihre Sprache wurde immer schwerfälliger und weniger zusammenhängend. Die Pupillen waren erweitert, reagierten aber auf Licht. Die Augenlider waren halb geschlossen. Der Puls war beschleunigt aber kräftig. Sie wurde in ein Krankenhaus eingewiesen, wo sie in verfallenem Zustand ankam. Sie fühlte, dass die Kraft in den Beinen schwand, konnte nicht mehr stehen, war schwindlig, hatte Herzklopfen und gab ein Gefühl von Trockenheit im Mund an. Die Zeit schien ihr nunmehr abnorm langsam abzulaufen. Sie glaubte, ihr Zustand dauere schon seit vielen Stunden. Sie bildete sich bei vollem Bewusstsein ein, sich außerhalb ihres Körpers zu befinden (eine Halluzination im Sinne einer „Verdoppelung der Persönlichkeit“). Sie glaubte in einem kleinen Raum eingeschlossen, von einem dichten Nebel umgeben zu sein, aus dem sie nicht herauskam. Dieser imaginäre Nebel hinderte sie jedoch nicht, auch entfernte Gegenstände scharf zu sehen. Die Sprache wurde wirr, schließlich unartikuliert. Sie konnte ohne Unterstützung nicht mehr stehen; es fehlte die Koordination in den Handbewegungen. Es bestand eine Tachykardie von 140 in der Minute und eine ausgesprochene inspiratorische Dyspnoe. Sonst konnte kein krankhafter Befund erhoben werden. Der Kollapszustand wurde mit den üblichen Mitteln bekämpft. Sie erholte sich in neun Stunden. Ernste Folgen blieben, abgesehen von starken Kopfschmerzen, nicht zurück. Die Hauptsymptome der Haschischvergiftung: Erregung, motorische Koordinationsstörungen und schließlich Narkose ließen sich also auch hier beobachten. Die Ansicht, dass in Europa gebauter indischer Hanf die typischen Wirkstoffe der in ihrer eigentlichen Heimat gewachsenen Droge nicht enthalte, bedarf also wohl einer Revision. Fälle von Cannabis indica-Vergiftung mit tödlichem Ausgang sind nach dem Verfasser sehr selten. Ausführlicher Bericht in Lancet 1935, 811 Quelle: Epple, G.: Ein Fall von Cannabis indica-Vergiftung. Sammlung von Vergiftungsfällen, A 611, Band 7, S. 107 - 108, 1936 |
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