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Coffein-Vergiftung. Von W. Kretschmer. Mitteilung eines Vergiftungsfalles mit Coffein, den Verf. An sich selbst beobachtete. Verf. Ist seit ca. 30 Jahren gewohnt, reichlich schweren Kaffee zu trinken, den er bis her immer ohne jede Beschwerden vertrug. Er was außerdem gewohnt, reichlich starken schwarzen Tee zu trinken (10 – 12 Tassen täglich) und auch 8 – 10 mittelschwere Zigarren zu rauchen. Als pathologischer Anatom hatte er sich wiederholt Berufsinfektionen zugezogen. 1908 litt er an Typhus, 1909 an Ruhr, 1912 an einem Karbunkel des Handgelenks, 1913 Lymphangitis mit Achseldrüsen- und Pectoralisabszess, 1915 schwerer Streptokokkeninfekt mit septischem Erysipel. Bis auf die letzte Erkrankung, bei der Herzbeschwerden auftraten, war Herz und Kreislauf immer intakt. Im Oktober 1934 machte Verf. eine Reise und trank ein etwa 250 bis 300 cm³ fassendes Kännchen mit Mokka aus. Da er infolge der Schwere des Kaffees Beschwerden hatte, trank er ein Glas Kirschwasser in kleinen Schlucken dazu. Der Kaffee wurde innerhalb einer Stunde konsumiert. Nach einem kurzen Spaziergang ging Verf. zu Bett und erwachte nach ruhigem, ca. 4stündigem Schlaf um 5 Uhr morgens. Er war hochgradig erregt. Es bestand sehr starke Flatulenz, auch setzten innerhalb von 2 Stunden5 – 6 wässrig-grüne, mit flockigem Dünndarmschleim vermengte, aasartig stinkende, sehr reichliche Stuhlentleerungen ein. Den dabei auftretenden Wasserverlust schätzt Verf. auf 1 – 2 Liter. Anschließend traten Herzbeschwerden auf. Puls 140 – 150 / Minute, Angst-, Völle- und Spannungsgefühl der Herzgegend und starker Herzschmerz. Beim Versuch, aufzustehen, trat Schwindel ein, den Verf. im Sinne einer Labyrinthreizung deutete. Diese Herzbeschwerden dauerten etwa 2 – 3 Stunden. Auch trat Harndrang auf, ohne dass die Blase stärker gefüllt gewesen wäre. Es wurden kleine Mengen hochgestellten klaren Harns entleert. Weiter litt Verf. unter schmerzhaften Sphinkterkrämpfen der Blase. Diese Erscheinungen von seiten der Blase dauerten ca. 1 Stunde. Verf. machte sich während 2 Stunden heiße feuchte Umschläge auf den Leib und sehr heiße feuchte Herzkompressen, welche die Herzschmerzen fast augenblicklich zum Verschwinden brachten. Eine Stunde später konnte Verf. schlafen. Gegen 20 Uhr bestand nur noch Mattigkeit, so dass er aufstehen und etwas Reis sowie ein Kalbsragout fin zu sich nehmen konnte. Da starkes Durstgefühl bestand, trank er schwarzen Tee, nach dem Essen Bordeaux. In zeitlicher Reihenfolge gibt Verf. die Symptome des Vergiftungsbildes, das 4 – 5 Stunden nach Genuss des schwarzen Kaffees eintrat, folgendermaßen an: 1. Allgemeine Erregtheit, Blutandrang zum Kopf, Schweißausbruch, Schwindelgefühl. 2. Stärkste Flatulenz. 3. Heftige Durchfälle ohne Tenesmen wie bei Dünndarmdiarrhoe. 4. Tachykardie, Herzangst und Herzschmerzen. 5. Harndrang, Krämpfe des Blasensphinkters. Dauer der Erscheinungen vom ersten Auftreten 5 – 6 Stunden. Im Vordergrund hatten die akuten Darmerscheinungen gestanden. Die Stühle hatten alle Eigentümlichkeiten toxischer Reizungen gezeigt. Subjektiv am lästigsten seien die an Angina pectoris erinnernden Herzerscheinungen gewesen, die von einer Intensität gewesen seien, dass Verf. erwog, sich in die Medizinische Klinik aufnehmen zu lassen. Am Folgetag ließ sich Verf. in dem Café die zur Herstellung einer Portion Kaffee benutzte Menge Kaffeebohnen geben. Es handelte sich um ca. 50 g gebrannter Bohnen. Er ließ durch Prof. Flury – Würzburg eine Coffein-Bestimmung vornehmen. Als Untersuchungsergebnis wurde ihm mitgeteilt: „Die uns am 7.10.1934 von Ihnen zur Untersuchung übergebene Kaffeeprobe enthielt 45,0 g „Kaffeemehl“. Nach dem von Fendler und Stüber angegebenen Untersuchungsverfahren wurde in dem Kaffeemehle ein Coffeingehalt von 1,3 % festgestellt = 0,585 g Coffein in 45 g des Kaffeemehls. Gewöhnlich gehen aber bei Bereitung der wässrigen Aufgüsse – also beim Kaffeekochen – nur 80 % des vorhandenen Coffeins in Lösung, so dass aus den 45 g Kaffeemehl nur etwa 0,45 g Coffein extrahiert würden.“ Die aufgenommene Coffeinmenge betrug das ca. 4 – 5fache der in der Deutschen Pharmacopoe als übliche therapeutische Coffeineinzeldosis angegeben. Verf. glaubt also, das mitgeteilte Krankheitsbild auf die Einverleibung der großen Coffeinmenge zurückführen zu dürfen. In der Literatur schwanken die Angaben der als toxisch anzusehenden Dosis, da der Einfluss der Gewöhnung sehr groß ist. Verf. bemerkt, dass er zwar jahrelang bis zum Eintreten der Vergiftung fortgesetzt reichlich Coffein in Form von schwarzen schweren Tee zu sich genommen habe, dass er aber in der Vergiftung vorausgehenden Wochen keinen Kaffee getrunken habe. Nach Starkenstein rechnet man für eine Tasse Kaffee durchschnittlich 3 – 5 g gemahlene Bohnen auf einen Tassenkopf (= 1/6 Liter Flüssigkeit) Wasser. Bei Annahme einer Kaffeemenge von ca. 240 g sei also im vorliegenden Fall ca. das 5fache der üblichen Kaffeemenge verwendet worden, was mit der gefundenen Coffeinmenge übereinstimme. Bei dem sehr stark aromatischen Duft des genossenen Kaffees dürfe ein besonders hoher Gehalt von Kaffeeöl angenommen werden, welches als Hauptträger des Aromas anzusehen sei. Es sei keine Möglichkeit vorhanden, dass die beschriebenen Vergiftungserscheinungen etwa den am Abend vorher genossenen Speisen zur Last zu legen seien, da er am Abend nur gedämpftes Hühnerfleisch, Risottoreis und ein Glas Rotwein genossen habe. Bei späterem häufigerem Kaffeegenuss habe er keinerlei Erscheinungen einer neu erworbenen Überempfindlichkeit beobachten können. Als Angriffspunkt des Coffeins würde gewöhnlich vor allem eine zentral erregende Wirkung angenommen. Im vorliegenden Falle könne von einer allgemein erregenden Wirkung im Sinne einer Schlafstörung nicht gesprochen werden. Bei der Organwirkung des Coffeins werde eine direkte Wirkung auf die glatte Muskulatur angenommen, die im vorliegenden Fall sich in den akuten Darmerscheinungen (vermehrte Peristaltik und Flatulenz) und in den Blasenerscheinungen manifestiert habe. Die Blasen- und Darmsymptome könnten jedoch auf eine zentrale Erregung (motorische Störung) zurückgeführt werden. Ausführlicher Bericht in Medizinische Welt 1936, 232. Referent: Taeger, Göttingen. Quelle: Taeger: Coffein-Vergiftung. Sammlung von Vergiftungsfällen, A 589, Band 7, S. 53 - 54, 1936 |
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