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Ergotamin-(Gynergen-)Vergiftung, medizinale. Bericht von W. Speck, Bezirkskrankenhaus, Rabenstein (Sachsen). Während das Alkaloid des Mutterkorns, das Ergotamin (Gynergen), in der Geburtshilfe nur vorübergehend gebraucht wird, kommt für die neuerdings geübte Behandlung der Basedowschen Krankheit eine längere Zeit der Anwendung in Frage. Schon bei ein- oder mehrmaliger Anwendung größerer Dosen in der Geburtshilfe wurde Gangrän beobachtet. Da das Gynergen gegenwärtig in der Behandlung der Basedowschen Krankheit vielfach Verwendung gefunden hat, ist auch hier auf etwaige sich einstellende Vergiftungserscheinungen genau zu achten. Ein hierhin gehöriger Fall verlief folgendermaßen: 29jährige Frau, früher gesund, seit 3 Jahren kropfleidend, im letzten Jahre sehr stark. Seit 8 – 10 Wochen Mattigkeit, Appetitlosigkeit, leichte Erregbarkeit, Herzklopfen, Gewichtsabnahme, Durchfälle. Wird vom Arzte wegen Basedowscher Krankheit dem Krankenhaus eingewiesen. Befund: Schwächliche, schlecht genährte Frau, Gewicht 46,5 kg. Es besteht starkes Zittern, mäßiger Exophthalmus, seltener Lidschlag und derbe vergrößerte Schilddrüse. Die Herztätigkeit ist sehr beschleunigt, Reflexe lebhaft, Gefäßnerven übererregbar. Hände feucht und leicht schwitzend. Wassermannsche Reaktion negativ. Die Behandlung bestand in einer vorbereiteten Gynergenkur (steigend und fallend) mit 93 Tabletten (= 46,5 mg Ergotamin); darauf geht der Puls auf 96 – 100 zurück. Nach Aussetzen des Gynergens stieg der Puls wieder auf 120. Allgemeinbefinden gebessert, Gewicht geringer werdend. – Nach dreiwöchiger Pause zweite Gynergendarreichung; der auf 140 gestiegene Puls geht wieder auf 100 zurück. Am 6. Tage (dreimal 6 Tabletten) klagt die Kranke über etwas pelziges Gefühl in beiden Beinen (hiergegen Einreibungen, Galvanisieren). Am 7. Tage keine besonderen Klagen. Am 8. Tage stärkere Schmerzen in den Beinen mit Kältegefühl, Leibschmerzen und Durchfällen, Erscheinungen, denen keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Am 9. Tage Klagen über Schmerz und Kälte in den Unterschenkeln; Füße kalt, Hautgefühl herabgesetzt, schwach bläuliche Verfärbung; angeblich auch Gefühlsstörungen im rechten Arm, Puls 128, Körperwärme 37,8°. Da Ergotinvergiftung vermutet wurde, wird Gynergen ausgesetzt. Behandlung: Warme Packungen, Wechselbäder, Atropin, ferner wurden 10 ccm 3 %iger Lösung von Theophyllinum-Natrium aceticum in die Blutbahn und 2 ccm 20 %iges Natriumnitrit subkutan injiziert. Außerdem dreimal täglich eine Tablette Theophyllin (0,15). Diese Behandlung wurde noch 3 Tage fortgesetzt, jedoch die Natriumnitritmenge reduziert. Die drohenden Erscheinungen der Gangrän nahmen zunächst noch zu, am 10 Tage waren beide Füße und Unterschenkel im unteren Drittel kalt, gefühllos und stark weißbläulich gefleckt, Schmerzen erheblich, Puls 130 – 140, Körperwärme bis 39,6°, Durchfälle. Vom 13. Tage trat eine deutliche Besserung und Rückgang der genannten Erscheinungen ein. Am 16. Tage kehrte das Gefühl wieder, die Füße wurden warm, am rechten Fußrücken zeigte sich Blasenbildung. Puls noch beschleunigt, Temperatur normal, Allgemeinbefinden besser. Vom 18. Tage ab Aussetzen des Theophyllins, Füße und Zehen schienen gerettet zu sein. Fortsetzung der physikalischen Behandlung. Nach 3 Wochen konnte Pat. aufstehen, die Füße waren gut durchblutet und beweglich. Nach weiteren 5 Wochen der Kräftigung wurde am 12. XII. 1929 eine Schilddrüsenarterien-Unterbindung ausgeführt, die störungslos überstanden wurde. Trotz unveränderter hoher Pulsfrequenz (130 – 140) kam es zu einer weiteren Erholung, wodurch sich eine Kropfoperation ermöglichen ließ. Eine etwa ½ Jahr später vorgenommene Nachuntersuchung ergab völliges Wohlbefinden, abgesehen von geringer Ungelenkigkeit der kleinen Fußgelenke. Die Kranke hatte also bei ihren zwei Kuren zusammen 93 mg Ergotamin erhalten. Zu betonen ist besonders die erfolgreiche Therapie mit Theophyllin und Natriumnitrit, durch die anscheinend die Gefahr einer Gangrän usw. abgewendet wurde. Als dringendes Gebot ergibt sich aus dem oben geschilderten Falle, mit der Gynergendarreichung sofort abzubrechen, wenn sich die geringsten Anzeichen einer Vergiftung zeigen, namentlich beim Auftreten von Gefühlsstörungen. Die Dosierung des Mittels soll nicht übertrieben werden. Vielleicht gehört Gynergen auch nicht in die Hand des Patienten (eine wohl etwas zu weitgehende Forderung. Ref.). Im Anschluss hieran sei auf eine Gynergenschädigung hingewiesen, die unlängst Zorn (Dtsch. med. Wochenschr. 1931, S. 1978) beschrieb. Sie betraf eine 39jährige Frau mit Morbus Basedowii, bei der nach Gynergendarreichung von im ganzen 15,5 mg innerhalb 8 Tagen die Anfangssymptome des Ergotismus gangraenosus auftraten. Zur Behandlung dienten Wechselfußbäder und Padutin (Kallikrein); bereits nach drei Injektionen war die Gefahr beseitigt. – Einen anderen Fall, in dem innerhalb von 14 Tagen im ganzen 45 Ampullen zu je ½ mg Gynergen injiziert worden waren, konnte Ognitz, New York (Amer. Journ. Obstetr. 1930, Bd. 19, Nr. 5) melden. Es kam zu Parästhesien der Extremitäten, Benommenheit, Zyanose beider Füße und Zehengangrän. Aussetzen des Mittels genügte, um alle Erscheinungen bis auf die Gangrän zum Rückgang zu bringen. Die Literatur der vorhergehenden Jahre bringt noch weitere Fälle von Gynergenschädigungen. (Ausführlicher Bericht in Medizin. Klinik 1930, Nr. 41, S. 1521.) Referent: C. Bachem (Bonn). Quelle: Bachem, C.: Ergotamin-(Gynergen-)Vergiftung, medizinale. Sammlung von Vergiftungsfällen, Band 3, A 199, S. 49 - 50, 1932 |
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