|
Ein Fall von Sekale-Vergiftung. Von E. Junghans. (Aus der Universitäts-Frauenklinik Halle, Saale. Direktor: Prof. Dr. Nürnberger) Eine 29 Jahre alte Ehefrau wurde am 6. April 1936 vom praktischen Arzt in die Universitäts-Frauenklinik in Halle (Saale) eingewiesen, weil der Verdacht auf eine Bauchhöhlenschwangerschaft bestand. Die Anamnese ergab, dass die Patientin, die nie ernstlich krank gewesen ist, vor sechs Jahren eine Fehlgeburt durchgemacht hat. Die Menstruation trat in regelmäßigen Abständen von 28 Tagen auf und dauerte in der Regel 3 – 4 Tage. Am 1. April 1936 trat außerhalb der Regel eine Blutung aus der Scheide auf. Die Patientin suchte deshalb am selben Tage einen Arzt auf, der ihr 20 g Extractum secalis cornuti fluidi verschrieb. Wie die Patientin behauptete, ist ihr weder vom Arzt noch vom Apotheker mitgeteilt worden, wie viel sie von den Sekaletropfen täglich einnehmen sollte. Nach ihren Angaben hat die Frau vom 1. – 6. April dreimal täglich 20 Tropfen von der verordneten Medizin in unregelmäßigen Zeitabständen eingenommen. Da die Blutung am 6. April noch nicht stand, hat die Patientin innerhalb von vier Stunden 60 Tropfen genommen. Im ganzen hat sie innerhalb der sechs Tage 18 g Extractum secalis cornuti fluidi verbraucht, denn bei der Aufnahme in die Klinik waren in der Arzneiflasche noch 2 g der Medizin enthalten. Am 6. April 1936 mittags hörten die Gebärmutterblutungen auf. Am Abend des 6. April erkrankte die Patientin plötzlich mit starken Leibschmerzen, sie wurde ohnmächtig und an beiden Armen und Beinen trat ein taubes und pelziges Gefühl auf. Nach den Angaben der Patientin waren Hände und Füße „wie abgestorben“. Ein Arzt, der vom Ehemann geholt wurde, schickte uns die Frau in die Klinik, mit der Diagnose „Bauchhöhlenschwangerschaft“. In der Klinik bot die Patientin das typische Bild einer Extrauteringravidität. Die Lippen und die Haut waren blass. Die Extremitäten und die Nasenspitze fühlten sich kalt an. Der Puls war stark verlangsamt. Da wir außerdem einen kleinen Adnextumor auf der rechten Seite fühlten, haben wir die Frau operiert. Wir konnten aber eine Bauchhöhlenschwangerschaft nicht feststellen. Wir erfuhren erst nach der Operation von dem Ehemann, dass die Patientin sechs Tage lang Sekaletropfen eingenommen hatte. Nach der Operation erholte sich die Frau nur sehr schlecht. Sie sah weiterhin sehr blass aus und Hände und Füße waren immer noch sehr kalt. Wir haben deshalb zirka vier Stunden nach der Operation der Patientin den Inhalt einer Ampulle Amylnitrit auf einem Wattetupfer zum Einatmen unter die Nase gehalten. Die Wirkung rat augenblicklich ein. Die Lippen und die Haut bekamen sofort ihre normale Farbe wieder und die Extremitäten wurden infolge besserer Durchblutung wieder warm. Die Patientin erholte sich daraufhin sehr schnell. Am 19. April 1936 erfolgte die Entlassung aus der Klinik. Anschrift des Verfassers: Dr. E. Junghans, Halle (Saale), Universitäts-Frauenklinik. Quelle: Junghans, E.: Ein Fall von Sekale-Vergiftung. Sammlung von Vergiftungsfällen, A 601, Band 7, S. 83 - 84, 1936 |
Senden Sie E-Mail mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an:
|