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Lorchel-Vergiftung. Bericht von A. Hinrichs, Städtisches Krankenhaus Danzig. Das klinische Bild der Lorchelvergiftung ist nicht einheitlich, sondern lässt sich je nach seinem Verlauf schematisch in drei Formen einteilen: Die leichteste Form äußert sich in Völlegefühl im Magen, Erbrechen, mitunter auch in schnell abklingenden Ikterus. Die mittelschweren Erkrankungen weisen eine längere Krankheitsdauer auf, zeigen länger anhaltenden Ikterus, Auftreten von Mattigkeit, Appetitlosigkeit und gastrointestinalen Störungen. Die schwere Form verläuft alsbald foudroyant mit allgemeinem Kollaps und schweren zerebralen Reiz- oder Lähmungserscheinungen. Das wesentliche Bild der Lorchelvergiftung ist die Leberschädigung. Ein Fall, der zu gelber Leberatrophie führte, verlief folgendermaßen: Eine 21jährige Frau aß am 10. Mai 1929 nachmittags Lorcheln. Sie bekam nachts heftiges Erbrechen, am nächsten Tag Ikterus. Nach 2 Tagen Aufnahme ins Krankenhaus. Es ergab sich ikterische Verfärbung der Skleren und der Haut, Druckempfindlichkeit der Lebergegend, Bewusstlosigkeit, plötzlich auftretende Krämpfe, Pfötchenstellung der Hände, Opisthotonus, Babinski negativ, Pupillen reaktionslos, mittelweit. Am nächsten Tag lassen die Krämpfe nach, Puls und Atmung verschlechtern sich, Temperatur 41,6°, Exitus. Der Harn war normal bis auf geringe Mengen Eiweiß. Sektionsbefund: Geringer Ikterus der Haut, Nieren usw., schlaffe gelbe Atrophie der Leber, Nephrose, größere subendokardiale Blutungen und geringe im Darm, Hyperplasie des Knochenmarkes, eine verkalkte Mesenterialdrüse, Tuberkeln in der Leber, Hämosiderose der Leber, Niere, Milz und des Knochenmarkes. Eine subakute gelbe Leberatrophie ließ sich im zweiten Falle nachweisen: Die 51jährige Frau aß am 3. Mai 1930 zum erstenmal Lorcheln ohne Krankheitserscheinungen darzubieten. Nach dem zweitmaligen Genuss am 5. Mai setzte am Abend Erbrechen ein, das im Laufe des nächsten Tages an Stärke zunahm. 3 Tage später ließ das Erbrechen etwas nach, die Patientin bemerkte aber eine ausgesprochene Gelbfärbung am ganzen Körper und Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen. Bei der Aufnahme ist die Frau apathisch und komatös. Es besteht Ikterus mit deutlich tastbarem, weichem und druckempfindlichen Leberrand. Die Milz ist nicht palpabel. Blutbild und Senkungsgeschwindigkeit normal. Bilirubin indirekt positiv, im Harn etwas Eiweiß. Urobilin positiv, Urobilinogen vermehrt. Im Sediment rote und weiße Blutkörperchen. Im Harn reichlich Leuzin. Die Temperaturen schwanken zwischen 37° und 38°. Am 11. Mai besserte sich der komatöse Zustand auf Insulin-Traubenzucker. Die Druckempfindlichkeit der Leber wurde geringer. Am 20. Mai wurde noch über Mattigkeit geklagt, auch war noch reichlich Leuzin nachweisbar. Erst am 27. Mai fühlte sich die Patientin wohl, die Leber war nicht mehr palpabel, Leuzin negativ. Völliges Wohlbefinden trat erst am 1. Juni ein, der Ikterus war geschwunden. Eigentümlich bei diesem Falle war, dass die Vergiftungserscheinungen erst nach dem zweitmaligen Genuss auftraten. Vielleicht handelte es sich hier um anaphylaktische Erscheinungen. In dem letzten Falle beherrschte die Leberschädigung das Krankheitsbild weniger. Er betraf eine 53jährige Frau, die am 19. Mai 1930 beträchtliche Mengen Lorcheln aß (das zweite Aufkochwasser wurde zur Sauce verwendet). Nach einigen Stunden trat heftiges Erbrechen mit starken Leibschmerzen auf. Am zweitfolgenden Tage Aufnahme ins Krankenhaus. Ernährungszustand gut, Haut und Skleren subikterisch. Pupillen, Puls und Temperatur ohne Befund. Diffuse Druckempfindlichkeit im Leib, starke Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen. Die Leber ist eben noch tastbar, die Milz nicht. Im Harn weder Bilirubin noch Urobilin, Urobilinogen schwach vermehrt. Bilirubin im Serum indirekt positiv. Das Serum erweist sich als hämolytisch. Unter starkem Erbrechen und Desorientiertheit verschlechtert sich der Zustand, die Pulsfrequenz sinkt auf 36 pro Minute, Tod. Die Sektion ergab außer allgemeiner Fettsucht und dilatierten schlaffem Herzen supepikardiale Blutungen, Magenblutungen, diffuse fettige Degeneration des Myokards mit Fragmentation, Nephrose, Fettleber mit Ikterus, Hämosiderose der Milz, Leber, Niere und des Knochenmarkes. Wenn bei der Lorchelvergiftung wie in Fall 3 auch Hämolyse durch die Helvellasäure eine Rolle spielt, so ist doch die Leberparenchymschädigung als führendes Symptom zu bewerten. Sie äußert sich in den verschiedenen Graden der Fettleber oder der akuten gelben Leberatrophie. In ähnlicher Weise kommt es bei Vergiftung mit Amanita bulbosa zu hochgradiger Leberverfettung. Zu beachten sind auch die zerebralen Symptome; solche sind Ausdruck einer Leberparenchymschädigung. Besonderes Gewicht ist auf die Tatsache zu legen, dass, wie bei der akuten gelben Leberatrophie und ähnlichen Erkrankungen, die zerebralen Symptome mitunter die ersten und beherrschenden Erscheinungen sind. Die bei Lorchelvergiftung auftretenden zerebralen Erscheinungen sind wohl lediglich als Folgeerscheinung der Leberschädigung anzusehen. Die Prognose hängt von dem Grad der Leberparenchymschädigung ab. Beim Auftreten zerebraler Erscheinungen ist die Prognose ernst. Die Behandlung hat die Kreislaufschädigung zu berücksichtigen; auch ist möglichst früh eine Leberschutztherapie einzuleiten. (Ausführlicher Bericht in Dtsch. med. Wschr. 1931, Nr. 11, S. 444.) Referent: C. Bachem, Bonn Quelle: Bachem, C.: Lorchel-Vergiftung. Sammlung von Vergiftungsfällen, Band 3, A 180, S. 1 - 2, 1932 Anmerkung: Bei Bericht handelt es sich um den sehr gefährlichen Pilz Gyromitra esculenta. |
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