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Intox Petroleum01
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Toedliche Petroleum-Vergiftung bei einer 52jährigen Frau.

Von O. Roth.

Frau Berta H., geb. 1883, wurde am 14.6.1935 um 23 Uhr bewusstlos ins Spital eingeliefert. Von der Begleitung erfuhr man, dass die Patientin als Sonderling bekannt war, dass sie schon lange für sich allein in einem Häuschen lebt, ohne jeglichen Verkehr mit den Nachbarn. Einen besonderen Beruf übte sie nicht aus. Abends 2030 Uhr des Aufnahmetages sah man, dass es in dem Häuschen der Patientin brannte und bald nachher hörte man sie um Hilfe rufen. Herbeigeeilte Leute fanden die Patientin im Garten stehend; sie wurde aber bald bewusstlos und es fiel sofort auf, dass die Patientin einen starken Geruch nach Petroleum verbreitete. Sie sei tiefblau im Gesicht gewesen und habe kaffeesatzähnliche Massen erbrochen. Sie war sehr unruhig und sofort wurde sie ins Spital abtransportiert.

Aus der polizeilichen Untersuchung ergab sich, dass sich der Brandherd im Schlafzimmer der Patientin befand und zwar musste zuerst das Bett gebrannt haben. Auf unser Ersuchen wurde das ganze Haus, das gelöscht worden war, auf Brennstoffe und Chemikalien durchsucht. Es wurde nicht gefunden als eine Flasche mit Petroleum, aber kein Gefäß, dass etwa eine Säure oder Lauge enthalten hätte. Die polizeilichen Untersuchungen ergaben ferner, dass die Patientin sicher schwer geisteskrank war, dass sie Geister gesehen hat und auch sonst an Halluzinationen litt.

Untersuchungsbefund bei der Aufnahme: Schwer benommen, reagiert jedoch auf Aufforderung, öffnet z.B. auf Verlangen den Mund und zeigt die Zunge. Nach ihrem Namen gefragt, antwortet sie mit unverständlichem Lallen. Die Patientin ist unruhig, windet und dreht sich im Bett. Aus dem Mund spuckt sie viel Schleim. Einmal erbricht sie wenig kaffeesatzähnliche Massen mit deutlichem Petroleumgeruch. Chemisch war im Erbrochenen Blut nachweisbar. Hautfarbe blass. Im Gesicht deutliche Zyanose. Concunctiven o. B. Die Mundschleimhaut zeigt schöne Rosafärbung. Pupillen reagieren. Zunge feucht, eher auffallend rot, ohne jeglichen Belag. Rachenschleimhaut etwas gerötet. Hals o.B. Lungen: sehr unregelmäßige Atmung, 15 pro Minute. Über den Lungen überall lauter Perkussionsschall, reines Vesiculäratmen, keine Rasselgeräusche. Herzgrenzen: r. Sternalrand, li. 3. Rippe, li. Mamillarlinie. Herztöne rein, deutlich, keine Geräusche. Puls 56, regelmäßig, nur wenig gefüllt. Blutdruck 120 mm Hg. Abdomen etwas aufgetrieben, aber die Bauchdecken weich. Palpation der Oberbauchgegend anscheinend sehr schmerzhaft. Leber, Milz o. B. Im Urin Spuren Eiweiß, kein Zucker, etwas Urobilinogen.

Patellarsehnenreflexe vorhanden, ebenso Fußsohlenreflex. Kein Babinski, kein Rossolimo. Bauchdeckenreflexe fehlen. Während der ganzen Untersuchung fällt der starke Petroleumgeruch der Patientin auf. Temperatur 35,4.

Zu diesem Status ist noch nachzutragen, dass Patientin in den Kleidern ins Spital gebracht wurde. Diese Kleider rochen bei der Inspektion stark nach Petroleum, aber nirgends fanden sich an den Kleidern, nicht einmal an der Schürze, Verbrennungsspuren.

Therapie: Stimulation, Aderlass von 300 cm³, nachfolgende Infusion von 400 cm³ Kochsalzlösung usw.

Zytologische und chemische Blutuntersuchungen siehe die nachfolgende Tabelle.

Zytologische Blutbefunde:

 

14.6.

15.6.

16.6.1935

Hämoglobin

100 %

 

 

Erythrozyten

5 080 000

4720 000

 

F.J.

1,0

 

 

Leukozyten

31 650

19 600

5 300

neutrophile Myelozyten

-

0,3 %

1,0%

neutrophile Metamyelozyten

-

1,3 %

2,3 %

neutrophile segemt. L.

68,3 %

67,7 %

19,7 %

neutrophile stabk. L.

21,0 %

28,7 %

47,3 %

eosinophile L.

-

-

-

basophile L.

-

-

0,3 %

Monozyten

3,7 %

4,3 %

7,0 %

Lymphozyten

7,0 %

7,7, %

22,3 %

Chemische Blutbefunde:

 

14.6.

15.6.

Rest N

56 mg%

36 mg%

Zucker

186 mg%

164 mg%

Chloride

362 mg%

362 mg%

Indikan

0,30 mg%

0,25 mg%

Cholesterin

270 mg%

-

Alkalireserve

27,1 mg%

32,8 mg%

CO

+ (ca. 5 %)

+ (Spuren ca. 1 %)

Polypeptid N

-

107 mg%

15.6. morgens: etwas ruhiger, lautes Karcheln, Dyspnoe; jagende Atmung von 32 Atemzügen. Reagiert immer noch auf Anrufen. Auf Befragen klagt sie über Atemnot. Es besteht nunmehr eine auffallend intensive Rotfärbung der Lippen. An einer kleinen Stelle der Oberlippe findet sich eine circumscripte kleine Rötung der Haut, direkt oberhalb der Lippenschleimhaut. Nach Öffnen des Mundes erkennt man, dass die ganze Mundschleimhautkräftig verätzt ist und ebenso die Schleimhaut des weichen Gaumens; die Rachenschleimhaut ist von einem dicken eitrigen Schleim bedeckt. Im übrigen aber am ganzen Körper nicht die Spur einer Brandwunde. Temperatur 36,1, Puls 68. 16.6.: Patientin ist klar, und gibt auf Befragen Antwort; über die Vorgeschichte ihrer jetzigen Erkrankung usw. ist sie nicht zum Sprechen zu bringen. Sie verneint aber auf das bestimmteste, irgendeine Lauge oder Säure getrunken zu haben. Die ganze Gegend der Lippenschleimhaut und die angrenzenden Schleimhautpartien sind deutlich braun verfärbt, wie verätzt. Die Lippenschleimhaut stößt sich überall ab; die Patientin spricht mit ganz heiserer Stimme und hat viel schleimig-eitrigen Auswurf. Um 16 Uhr, nach Einnahme von etwas Kaffee, plötzlich heftige Schmerzen in der linken Oberbauchgegend; das ganze linke Hypogastrium ist sehr druckempfindlich; daselbst besteht auch Muskelspannung. Die Patientin bietet alle Erscheinungen einer Perforationsperitonitis dar. Es wurde daraufhin von der chirurgischen Abteilung eine Laparatomie vorgenommen. Aus der Wunde entleerte sich dabei sofort eine säuerlich riechende Masse. Das Peritoneum war gereizt; zwischen den Darmschlingen fand sich eine kaffeesatzähnliche Brühe. Der Magen war an der Vorderfläche gegen die große Curvatur hin in handtellergroßer Ausdehnung siebartig durchlöchert, die Magenwand in dieser Gegend braun und wie gegerbt. Diese Verätzung reichte vom Pylorus bis fast zur Cardia. Daraufhin Magenresektion; 2 Stunden nach der Operation Exitus.

Die Untersuchung des im Haus der Patientin gefundenen Petroleum ergab:

  1. Spezif. Gewicht 0,823
  2. Frakt. Destillation. Dieselbe ergibt die für Petroleum charakteristisches Fraktionen.
  3. Fremde Beimischungen konnten nicht nachgewiesen werden.

Autopsie: Mittelgroße, weibliche Leiche. Keine Spur von Brandwunden der Haut. Schorfbildung im Schleimhautteil der Lippen. Verschorfung der Schleimhaut des Mundes usw. Schleimhaut des Pharynx, des Larynx, der Epiglottis stark verätzt; sie lässt sich leicht in nekrotischen Fetzen abziehen. Ebenso ist die ganze Ösophaguschleimhaut, vor allem in der oberen Hälfte hochgradig verätzt; in der unteren Hälfte ist die Ösophagusschleimhaut mehr schwarz verfärbt und gequollen. Die ganze Magenschleimhaut (incl. Chirurgisches Präparat), namentlich auf der Höhe der Falten verätzt, tief schwarz verfärbt und gequollen. Endlich ist auch noch das Duodenum bis 5 cm oberhalb der Papilla Vateri deutlich graulich verätzt. Dünn- und Dickdarm o. B. Geringe Peritonitis fibrinosa. Herz nicht vergrößert, zarter Klappenapparat. Lungen voluminös, dunkelrot. Schleimhaut des Larynx, der Trachea, der Stammbronchien bis in die mittleren Bronchien hinein graurot verfärbt und deutlich verätzt, sonst Lungen o. B. Geringe trübe Schwellung der Leber und der Nieren. Mikroskopische Untersuchung (patholohisch-anatomisches Institut der Universität Zürich): Magen: Die obersten Schichten der Schleimhaut sind abgestoßen, die unteren nekrotisch, ohne Kernfärbung. Dazwischen finden sich an den basalen Partien reichlich Leukozyten, ebenso sind die Interstitien der Muskulatur durch solche infiltriert. Die Arterien und Venen sind thrombosiert, in den Wandungen finden sich reichlich Leuko- und Lymphozyten. Leber: Läppchenbau deutlich, die Zentralvenen sind weit, die Balken gegen das Zentrum etwas verschmälert. Dazwischen finden sich vereinzelt rote Blutkörperchen. Sämtliche Leberzellen sind diffus grobtropfig verfettet. Die Glissonschen Scheiden sind im allgemeinen zart, an einzelnen Stellen etwas verlängert und verdickt, ohne entzündlich Infiltrate. Niere: Glomeruli zahlreich, vereinzelt hyalinisiert. Die Schlingen sind zart, enthalten wenig rote Blutkörperchen. Die Kapseln sind nicht verdickt, kein Exsudat. Die Tubuli sind gut gefärbt, nirgends verfettet. Die Interstitien sind schmal, an einigen Stellen leicht lymphocytär infiltriert. Die Intima der größeren Arterien ist leicht verdickt. Pathologisch-anatomische Diagnose: Nekrose der Magenschleimhaut, schwerste Leberverfettung.

Bei Anlass eines Hausbrandes, der offenbar von der Patientin gelegt worden ist, rettete sich die Patientin selbst aus dem brennenden Haus, ohne dass bei ihr irgendwelche Brandspuren an den Kleidern usw. hätten nachgewiesen werden können. Sie erkrankte sofort schwer mit Störungen des Bewusstseins, heftigem Erbrechen, verbreitete einen starken Petroleumgeruch. Bei der 2½ Stunden später erfolgten Spitalaufnahme war der Petroleumgeruch noch Immer deutlich zu bemerken. Am ersten Tag konnte von Verätzungen nicht viel gefunden werden, aber schon vom zweiten Tage an zeigte die sichtbare Mundschleimhaut starke Verätzungen, dazu gesellte sich Husten und Sekretion von eitrigem Schleim und endlich stellte sich eine Magenperforation ein und zwar auf Grund einer schweren Magenverätzung, resp. Magenwandnekrose, die schon bei der Operation gefunden werden konnte. Wie aus den weiteren Nachforschungen von seiten der Polizei hervorgeht, ferner auch aus den Angaben der Patientin, kommt bei ihr als Vergiftungsursache nichts anderes in Frage, als das Trinken von Petroleum. Die Untersuchung des Petroleums ergab, dass es sich um die gewöhnliche Handelsware handelte. Aus dem sehr frühzeitigem Erbrechen geht hervor, dass die Zufuhr des Petroleums oral hat geschehen müssen, denn nur auf diesem Wege ist das sofortige Auftreten der schweren gastrischen Symptome zu verstehen. Interessant dürfte die hochgradige Verätzung des Magendarmkanals bis in das Duodenum hinein, ferner aber auch die eigentümliche Verätzung der Bronchien sein.

Es ist bekannt, dass Petroleum sehr starke Verätzungen erzeugen kann, überall wo es hingelangt; speziell ist dies aus Beobachtungen an Kindern bekannt, die aus Versehen Petroleum trinken. Dass allerdings solch schwere Magenverätzungen, wie unsere Patientin sie darbot, sich im Gefolge des Trinkens von Petroleum einstellen, ist jedenfalls enorm selten. Interessant ist ferner im vorliegenden Falle noch die Tatsache der Verätzungen in der Trachea, sowie in den großen und mittleren Bronchien. Auch diese Erscheinung ist nicht unbekannt; sie wird z. B. von Conrads, (Berliner klinische Wochenschrift 1903, 982) von Julian J. Price, U.S.A. (diese Zeitschr., Band 4 S. A. 245) und von Nunn und Martin, Texas (diese Zeitschr., Band 5 , S. A. 183) beschrieben. Bezüglich dieser Erscheinung würde es sich fragen, auf welchem Wege diese Verätzung der Luftwege zustande gekommen sein kann. Conrads dachte an die Wirkung der Petroleumausscheidung in den Lungen, während Nunn und Martin auf Grund experimenteller Untersuchungen darauf hinweisen, dass, wenn Petroleum in die Bronchien gelangt, dies zu schweren Erscheinungen führt. Da die Verätzung im vorliegenden Fall nur bis in die mittleren Bronchien vorgedrungen ist, könnte daran gedacht werden, dass Patientin entweder etwas Petroleum aspiriert, sei es beim Trinken, sei es beim Erbrechen, oder dass sie Petroleumdämpfe eingeatmet hat und dass auf diesem Wege die bronchialen Verätzungen entstanden sind. Immerhin möchte ich den Weg über die Ausscheidung durch die Lungen nicht ganz ausschließen. Für die Einatmungstheorie könnte vielleicht auch noch sprechen, dass die Patientin doch im Blut auch ziemlich viel Kohlenoxyd, ca. 5 %, beim Eintritt dargeboten hat. Hinweisen möchte ich auch auf die starke Vermehrung der Polypeptide N im Blut, eine gewöhnliche Folge von ausgedehnten Verbrennungen und Verätzungen.

Anschrift des Verfassers: Dr. med. O. Roth, Chefarzt der Medizinischen Abteilung des Kantonspitals Winterthur, Schweiz.

Quelle: Roth, O.: Tödliche Petroleum-Vergiftung bei einer 52jährigen Frau. Sammlung Vergiftungsfälle, Band 7, A 568, S. 1 - 5, 1936.

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Stand: 02. November 2007

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