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Chenopodiumoel-Vergiftungen, medizinale. Bericht von A. Biesin, Armisteaddsches Kinderhospital Riga (Lettland). Dem amerikanischen Wurmsamenöl, Oleum Chenopodii anthelminthici, sind seit seiner Einführung in Europa schon zahlreiche Todesfälle zur Last zu legen. Nach einer Statistik aus der Deutschen Literatur endigten von 41 Vergiftungsfällen 30 tödlich. Die Ursache hierfür ist hauptsächlich in der Überdosierung, aber auch in der unzweckmäßigen Verabreichungsform, in einer zu langen Kur und in der Unterlassung der Verabfolgung eines Abführmittels zu suchen. Von den hier mitgeteilten drei Fällen endigte einer mit dem Tode. Im einzelnen verliefen sie folgendermaßen: 1. Fall. Irene K. litt längere Zeit an Unterleibsschmerzen; im Stuhl Askarideneier, daher Verordnung von 5 g Chenopodiumöl in 15 g Himbeersirup. Hiervon sollten 2 Tage lang dreimal täglich 25 Tropfen genommen werden; täglich Rizinusöl. Da durch diese Verordnung nur zwei Würmer abgetrieben wurden, wurde die Kur in der folgenden Woche wiederholt. Am 2. Tage nach Einnahme von 25 Tropfen (ohne Schütteln) schlief das Kind ein und war angeblich nicht mehr auszuwecken; dieser Zustand dauerte 24 Stunden an und verlief ohne Krämpfe. Stuhlgang erfolgte nicht. Außer den erwähnten Schmerzen in der Unterbauchgegend traten in der nachfolgenden Zeit keine Störungen auf. 2. Fall. Die 11jährige M. G. litt seit 1 Jahre an Kopfschmerzen mit Erbrechen. Es wurden dreimal täglich in 3 – 4stündigen Abständen je 8 Tropfen Chenopodiumöl gegeben nebst einem Abführmittel. Am 3. Tage erfolgte Ohnmacht, Erbrechen, Krämpfe in den Extremitäten. Am folgenden Tage kam das Kind wieder zum Bewusstsein. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus (19. November 1927) war der Puls 92, etwas unregelmäßig. Es bestand leichter Opisthotonus, Babinski nur links positiv. Patellarreflexe stark gesteigert, Hyperästhesie der Haut, Pupillen weit, Lichtreaktion und Akkomodation träge und schwach. Das Allgemeinbefinden ist gut, trotz mehrfachen Erbrechens. Es erfolgte nunmehr eine Satoninkur. In den nächsten Tagen Sehschwäche, die angeblich schon vor der Satoninkur bestanden hat, beiderseits Stauungspapille. Der Liquor fließt unter erhöhtem Druck (25,0) ab. Auf die leichte Meningitis serosa erfolgte noch ein Opisthotonus, während das Allgemeinbefinden gut war. Am 7. Dezember hatte das rechte Auge nur halbe Sehschärfe, während das linke nur Licht erkennt: Atrophie beider Nervi optici. Die sonstigen Erscheinungen waren geschwunden. Wegen des geschilderten Augenbefundes am 24. Dezember Überweisung in ambulatorische Behandlung. 3. Fall. Maria K., 12 Jahre alt, wurde am 26. Juni 1926 wegen Schmerzen in der Bauchgegend der Klinik überwiesen.. Der körperliche Befund ergibt keine Besonderheiten. Da sich in den Exkrementen viele Askarideneier befinden, wurde am 30. Juni mit einer Chenopodiumölkur begonnen. Es wurden dreimal täglich 10 Tropfen in 4stündigen Pausen genommen, abends Rizinusöl (ohne Erfolg), Appetit schlecht. Nach einer ruhigen Nacht wird das Kind am anderen Morgen bewusstlos bei oberflächlicher Atmung und schwachem, frequentem Puls. Gesicht und Haut blass, Pupillen mittelweit, auf Licht reagierend, Kornealreflex positiv. Auf den Lippen Schaum. Alsbald wurden die Extremitäten steif, es traten klonische Krämpfe und beiderseits Zuckungen der Gesichtsmuskeln auf. Darauf folgten auch Zuckungen in den Extremitäten rechterseits, die nur eine Minute andauern. Zeitweilig starkes Gähnen. Patellar- und Bauchreflexe fehlen, Babinski negativ. Schmerz (Nadelprüfung) wurde nicht empfunden; starker Dermographismus. Die Behandlung bestand in Kochsalzinfusionen mit Adrenalin, Kampferöl, Koffein, Klysma und Darmspülung. Die Krämpfe der rechten Körperseite wiederholen sich alle 10 – 20 Minuten; Zuckungen in der linken Gesichtshälfte. Dagegen wird mit Erfolg ein Klysma mit Chloralhydrat gegeben. Der soporöse Zustand, die flache Atmung und der kaum fühlbare Puls bestehen fort. Das Gesicht wird rot und zyanotisch und um 13,35 Uhr (1. Juli) tritt der Tod ein. Die Sektion ergab: Enterocolitis pseudomembranacea acuta, parenchymatöse Degeneration der Leber und Nieren. Ödem des Gehirns. Während in den beiden ersten Fällen eine unzweckmäßige Verabreichungsform vorlag, kann es sich hier nur um eine Idiosynkrasie gehandelt haben, da aus derselben Flasche auch andere Kinder ungestraft das Öl bekommen hatten. Gerade wegen dieser Idiosynkrasie und der sonstigen hohen Giftigkeit des Chenopodiumsöl wird empfohlen, das Mittel aus dem Arzneischatz zu streichen und es durch andere, weniger toxische Mittel, zu denen auch das Santonin gehört, zu ersetzen. Es sei hier an die Ausführungen von W. Straub (Klin. Wochenschr., 1924, S. 1993) erinnert, der das ganze Geheimnis der richtigen Darreichung des Öls darin sieht, dass man die Resorption verhindert. Nach amerikanischem Vorbild empfiehlt er folgende Verordnung: Am Vorabend zur Darmentleerung 30 g Magnesiumsulfat, am anderen Morgen 24 Tropfen (bei Erwachsenen) des Öls in Gelatinekapseln, vor dem gebrauch frisch eingefüllt, in den leeren Magen. Nach 2 Stunden wieder Magnesiumsulfat, um das Öl wieder aus dem Darm zu entfernen. Eine Wiederholung soll erst nach 2 Wochen stattfinden. Bei Kindern gibt man (ebenfalls nach amerikanischer Vorschrift) 1 – 2 Tropfen weniger als sie Jahre zählen. Hingewiesen sei hier noch auf einen Fall tödlicher Vergiftung einer Frau, die 10 g des Öls auf einmal einnahm. Der angeklagte Arzt hatte das Rezept ohne schriftliche Gebrauchsanweisung verschrieben. (Pharmazeutische Zeitung, 1930, S. 85.) (Ausführlicher Bericht in „Münchner medizinischer Wochenschrift“, 1929, Nr. 16, S. 661.) Referent: C. Bachem, Bonn. Quelle: Bachem, C.: Chenopodiumöl-Vergiftungen, medizinale. Sammlung von Vergiftungsfällen, A 82, Band 1, S. 187 - 188, 1930. |
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