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Biss Naja kaouthia02
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Kobrabiss: ein ungewoehnlicher Notfall

Autoren: Frigg, C., Sieber, T., Paganoni, O., Bernhardt, D.; Institut für Anästhesiologie, Rätisches Kantons- und Regionalspital, Chur ,Schweiz

Anschrift für die Verfasser: Christoph Frigg, Institut für Anästhesiologie, Rätisches Kantons- und Regionalspital, 7000 Chur, Schweiz, E-Mail: c.frigg@freesurf.ch

Quelle: Anaesthesist, 2001 · 50:856 – 860 © Springer-Verlag 2001

Zusammenfassung: Ein privater Reptilienzüchter, der sich exotische Schlangen hielt, wurde von einer Kobra oberhalb seines Ohres am Kopf gebissen. Die sofort alarmierte Ambulanz brachte den Patienten unter instabilen Kreislaufverhältnissen ins Zentrumspital. Auf dem Transportweg musste der Patient kardiopulmonal reanimiert werden. Im Spital wurde der Patient bei einem GCS 5 intubiert und vasoaktive Medikamente (Adrenalin) mussten verabreicht werden. Per Hubschrauber wurde das Bissopfer an eine Universitätsklinik transferiert, wo mehrere Dosen Antiserum verabreicht wurden. Nach vier Tagen Koma kehrten Schluckreflexe und spontane Atmung zunehmend zurück, sodass der Patient in der Folge extubiert werden konnte. An der Bissstelle am Kopf entwickelten sich ein Angioödem und eine lokale Nekrose. Eine chirurgische Sanierung der Wunde wurde nicht vorgenommen. Acht Tage nach dem Vorfall konnte der Patient in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden.

Kasuistik: Ein 39-jähriger Patient präsentierte sich uns auf der Notfallstation in lebensbedrohlichem Zustand, nachdem er von einer Schlange gebissen worden war. Der Patient züchtete hobbymäßig Reptilien und hielt in Terrarien mehr als 20 verschiedene exotische Schlangen. Durch eine Unachtsamkeit zog er sich einen Biss einer thailändischen Kobra (Naja kaouthia) oberhalb seines rechten Ohres zu. Umgehend wurde die Ambulanz alarmiert. Beim Eintreffen fanden sie einen verwirrten Patienten vor, der sich halb nackt am Boden liegend in einem von Kot verschmierten Badezimmer befand. Neben der Diarrhö fielen den Nothelfern eine beginnende Gesichtsschwellung mit Lid- und Lippenödemen sowie eine Hypersalivation auf. Der Patient war dyspnoisch, begleitet von einem inspiratorischen Stridor sowie einer Zyanose. Die periphere Sauerstoffsättigung (spO2) betrug am Unfallort, 15 min nach dem Ereignis, 82%,Puls 47 Schläge pro Minute, der Wert auf der Glasgow Coma Scale (GCS) ergab 12 Punkte. Auf dem nur wenige Minuten dauernden Transport ins Spital trat ein Kreislaufstillstand ein, sodass der Patient zweimal mechanisch reanimiert werden musste. Auf der Notfallstation (30 min nach dem Biss) zeigte sich der Patient initial sehr agitiert. Der Blutdruck betrug 115/60 mmHg, Puls 95, Sauerstoffsättigung 98% bei Applikation von 50% Sauerstoff mittels einer Variomaske. Der Patient schwitzte stark. Innerhalb weniger Minuten wurde der Patient komatös, und gleichzeitig sank sein Blutdruck auf systolische Werte zwischen 80 und 90 mmHg. Bei einem GCS 5 wurde der Patient unter schwierigen Bedingungen (Ödem der Glottis und Luftwege, Stimmritze nicht sichtbar) intubiert. Eine Sauerstoffsättigung von 99% konnte aufrecht erhalten werden, das endexspiratorische CO2 betrug 6,9 kPa (Norm 4,67–6,00 kPa). Zur Behandlung des anaphylaktischen Schocks verabreichten wir dem Patienten Adrenalin (0,05 µg/kg/min), 50 mg Ranitidin (Zantic®,H2-Rezeptorantagonist), 8 mg Dimetindenmaleat (Fenistil®,H1-Rezeptorantagonist), 100 mg Prednisolon (Ultracorten®-H) sowie 75 mg Diclofenac (Voltaren®) intravenös. Die Bissverletzung am behaarten Kopf wies eine leichte Rötung auf. Vierzig Minuten nach dem Eintreffen im Spital wurde der intubierte, beatmete Patient an eine Universitätsklinik überflogen, wo man ihm ein Antivenin verabreichte. Drei Stunden nach dem Schlangenbiss erfolgte die Gabe von 5Amp.monovalentem Kobra-Antivenin zu 10 ml, verdünnt in NaCl 0,9% als Kurzinfusion. Während dieser Zeit wurde der Patient engmaschig bezüglich anaphylaktischer Zeichen überwacht. Eine Tetanusimpfung wurde ebenfalls durchgeführt. In den darauffolgenden Tagen zeigte der intubierte Patient Episoden von Tachykardien und hypertensiven Blutdruckwerten, die aber durch β-Blocker und Glyceroltrinitrat (Perlinganit®) gut unter Kontrolle gebracht werden konnten. Am zweiten Tag wurde keine neurologische Besserung festgestellt. Der Patient war noch nicht weckbar, sodass man sich zu einer erneuten Gabe von 5 Amp. Antivenin entschloss. Vier Stunden später bewegte der Patient auf Aufforderung alle Extremitäten und atmete spontan. Die Extubation konnte wegen der nach wie vor massiven Zungen- und Rachenschwellung noch nicht vorgenommen werden. Der Patient verblieb insgesamt 4 Tage intubiert auf der Intensivstation. An der Bisswunde zeigte sich eine kleine Nekrose, die jedoch nach chirurgischem Konsil nicht saniert werden musste. Eine antibiotische Prophylaxe wurde jedoch vorsichtshalber eingeleitet (Tabelle 1).

Tabelle 1 Laborwerte

Analyse

Notfallstation

4.Tag 5.Tag Normwerte
Hämatologie        
Leukozyten 16,3a 8,05 8,89 3,5 – 10 k/ul
Erythrozyten 5,53 3,02 2,91 4,50 – 5,90 M/ul
Hämoglobin 18,9a 9,7a 9,8a 14,0 – 17,5 g/ul
Hämatokrit 56a 29 28 40 – 52%
Thrombozyten 297 187 225 132 – 356 k/ul
Gerinnung        
INR 1,5      
Quick 54a     70 – 100%
PTT aktiviert 37a     24 – 34 s
Fibrinogen 1,46a     1,50 – 4,00 g/l
Chemie        
Glukose 6,8a 4,8 4,3 3,8 – 5,8 mmol/l
Bilirubin ges. 32,5a     3,4 – 17,0 umol/l
CRP 6,5a 62a 32a < 5,0 mg/l
Natrium 141 145 145 132 – 148 mmol/l
Kalium 3,3a 4,2 3,9 3,6 – 5,0 mmol/l
ALAT (GPT) 286a 84a   8 – 63 U/l
Alkal. Phosphatase 99     45–122 U/l
CK gesamt 144   289a 24 – 204 U/l
Troponin T, cTnT < 0,01     < 0,10 µg/l
LDH, gesamt 454a 282   211 – 423 U/l

a Pathologische Werte.

Weitere Untersuchungen: EKG: normokarder Sinusrhythmus, partieller Rechtsschenkelblock, normale Repolarisation.

Diskussion: Schlangenbisse exotischer Arten sind bei uns selten. Betroffen sind in den meisten Fällen private Sammler, Reptilienhändler und Zooangestellte. Eine Bewilligung für die Haltung solcher Schlangen ist in den meisten Fällen vom Veterinäramt erforderlich, jedoch hat der Züchter in der Schweiz keine Verpflichtung, ein entsprechendes Gegengift bereitzuhalten, da dies wegen der kurzen Haltbarkeit ein ziemlich kostspieliges Unterfangen wäre.

Beinahe alle Schlangenbisse betreffen Extremitäten, zwei Drittel davon die unteren [6].Bisse in Stamm, Nacken und Kopf kommen nur in 1–2% aller Schlangenbisse vor. Diese Bisse sind jedoch besonders gefährlich und ziehen oftmals schwerwiegende Komplikationen mit sich. Dies zeigte sich auch an unserem Patienten, der oberhalb seines Ohres gebissen wurde. Da die Kopf- und Nackenregion gut durchblutet sind, ist auch die Giftabsorption entsprechend größer als in anderen Regionen und die unmittelbare Nähe der Atemwege kann schon durch geringe regionale Ödeme zum Verhängnis werden. Eine Leukozytose, wie in unserem Fall, ist bei schwerwiegender systemischer Vergiftung typisch [3].

Schlangengifte sind Mixturen aus verschiedenen Enzymen und unterschiedlichen Toxinen. Unterteilt nach ihren Effekten lassen sich verschiedene Klassen unterscheiden. Man unterscheidet lokal zytotoxische, autopharmakologische, hämatotoxische, neurotoxische, myotoxische, kardiotoxische und nephrotoxische Giftwirkungen [3]. Hämatotoxische Gifte führen v. a. durch eine Schädigung des Endothelzellverbandes der Blutgefässe und über eine Störung der plasmatischen Gerinnung zu Hämorrhagien.

Neurotoxische Gifte, welche prä- oder postsynaptisch wirken, verursachen eine Muskellähmung, die dann zu einer respiratorischen Insuffizienz führen kann. Gewisse Toxine können auch die Herzaktion beeinträchtigen. Die in unserem Fall beobachtete Störung der Blutgerinnung mit leicht erniedrigtem Quickwert, verlängertem PTT-Wert sowie das leicht erniedrigte Fibrinogen sind keine Giftwirkungen, die von der thailändischen Kobra (Naja kaouthia) bekannt sind. Vielmehr handelt es sich hierbei um Sekundäreffekte, die durch die Reanimation oder den Kreislaufschock zu erklären sein könnten.

Das Toxin der Kobra enthält oft einen hohen Anteil (mehr als 70%) neurotoxischer und kardio- / zytotoxischer Proteine. Letztere lysieren Zellmembranen, und die Neurotoxine manifestieren sich durch eine neuromuskuläre Blockade [5]. Daneben kommen auch proteolytische Enzyme vor, die für die lokalen Veränderungen an der Bissstelle verantwortlich zeichnen.

Neurotoxine von Schlangengiften greifen das periphere Nervensystem an und nicht, wie häufig diskutiert wird, das Zentralnervensystem, da diese Proteine die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können [5].Die Neurotoxine von Elapiden reagieren selektiv mit den n-Cholinozeptoren neuromuskulärer Synapsen und blockieren dadurch, wie Curare-Alkaloide, die Bindung von Azetylcholin. Der mit dem Rezeptor verbundene unspezifische Ionenkanal kann sich also nicht mehr öffnen; es kommt zum Polarisationsblock [2].Wegen der sehr niedrigen Dissoziationskonstante der Toxine hält die Paralyse sehr lange an. Die Ptosis ist eines der ersten Symptome eines Kobrabisses und spielt eine wichtige Rolle in der Diagnostik der systemischen Vergiftung. Unruhe, irreguläres Atmen, Lethargie, Diplopie, Dysarthrie, Dysphagie und geistige Verwirrtheit sind Warnzeichen einer respiratorischen Paralyse [7].

Das Schlangengift der asiatischen Kobra kann innerhalb weniger Minuten beim Opfer die Atmung kompromittieren und zum Tod durch Atemparalyse führen. Gelegentlich sind auch kardiotoxische Effekte mitverantwortlich. Kardiotoxine, die im Kobragift in 30 – 50% vorkommen, sind Polypeptide, die in vitro gegenüber Zellen lytische Eigenschaften (z. B. Hämolyse) zeigen. EKG-Veränderungen sind nach systemischer Vergiftung bekannt [3]. Hebungen der ST-Strecke kommen vor, und auch T-Inversionen wurden beschrieben. Ob der in unserem Fall vorkommende Rechtsschenkelblock auf das Ereignis zurückzuführen ist, ist fragwürdig. Kardiotoxine vermögen in noch sehr geringer Konzentration erregbare Membranen zu depolarisieren, Kanäle zu bilden oder endogene Phospholipasen A zu aktivieren [5]. Die systemischen Manifestationen können jedoch auch mit 8- bis 24-h-Verzögerung auftreten.

Verabreichung von Cholinesterasehemmern und mechanische Ventilation sind Therapieschritte, die man unverzüglich einleiten sollte [1]. Zeigen sich systemische Vergiftungserscheinungen, sollte Antivenin verabreicht werden. Watt et al. [8] konnte in einer Placebokontrollierten, doppelblinden Studie nachweisen, dass Patienten nach Kobrabissen mit neurologischen Symptomen von der kontinuierlichen Gabe von Neostigmin, initial 25 µg/kg Körpergewicht pro Stunde, profitieren, insbesondere führte dies zu einer Verbesserung der Ventilation und der Schluck- und Hustreflexe.

In den meisten Fällen konnten die neurotoxischen Zeichen der Vergiftung mit Neostigmin antagonisiert werden, ohne zusätzliche Gabe von Antivenin. Bauchschmerzen, als häufigste cholinerge Nebenwirkung, konnten mit Atropin in dieser Studie gut kontrolliert werden.

Die Verabreichung von Kortikosteroiden hat keinen nachweislich positiven Einfluss auf den Vergiftungsverlauf zeigen können [5]. Die einzige spezifische Therapie besteht darin, dem Opfer ein Antiserum, ein so genanntes Antivenin, intravenös zu verabreichen. Haben sich jedoch neurotoxische Effekte bereits manifestiert, können diese gelegentlich trotz i.v.-Gabe von Antivenin schwierig zu antagonisieren sein und durchaus 3 – 6 Tage oder noch länger andauern. Treten, wie in unserem Fall, bereits früh Zeichen eines anaphylaktischen oder anaphlyktoiden Schocks auf, stehen zunächst die symptomatischen notfallmedizinischen Maßnahmen im Vordergrund mit der üblichen Behandlung einer Anaphylaxie (Adrenalin, Antihistaminika, Steroide etc.). Die Indikation zur Antiveningabe ergibt sich aus dem Vergiftungsbild insgesamt und dem klinischen Verlauf.

Antiseren gegen Schlangengifte werden hergestellt, indem man Tieren, vorzugsweise Pferden, kleine Dosen des Giftes injiziert und anschließend ein Immunserum extrahiert. Die meisten Schlangengiftseren sind Mischseren, mit denen sich die Gifte verschiedener Schlangenarten neutralisieren lassen, d. h. so genannte polyvalente Antiseren. Die Behandlung mit Seren kann beim Patienten gelegentlich anaphylaktoide Reaktionen auslösen. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist eine Komplementaktivierung durch Immunkomplexe für diese Komplikation verantwortlich. In der Regel sind die Symptome mild und reichen von Urtikaria, Nausea, Erbrechen, Diarrhö über Kopfschmerzen bis zu Fieber. Bis 40% dieser Fälle entwickeln im Verlauf schwerere systemische Reaktionen mit Bronchospasmus, Hypotension und angioneurotischem Ödem [4].Malasit et al. [4] konnten zeigen, dass durch intrakutane, konjunktivale sowie In-vitro-Hypersensivitätstests keine Voraussage über das Auftreten von Hypersensivitätsreaktionen möglich ist. Häufig würde durch solche Tests die Applikation von Antivenin nur unnötig verzögert.

In bis zu 75% der Fälle kann 7 – 21 Tage nach Verabreichung von Antivenin eine Serumkrankheit (Typ-III-Hypersensitivitätsreaktion) auftreten. Diese manifestiert sich als Fieber, Arthralgien, Lymphadenopathien und gelegentlich als periphere Neuritis. Die Serumkrankheit kann effektiv mit H1-Blockern und Kortikosteroiden behandelt werden [7]. Da unser Patient vor 5 Jahren bereits einmal von einer Puffotter (Bitis arietans) gebissen wurde und deshalb ebenfalls Antivenin erhalten hatte, war das Risiko einer anaphylaktischen Reaktion diesmal größer. Eine engmaschige Kontrolle auf anaphylaktische Frühzeichen war unabdingbar. Watt et al. [9] wiesen in einer prospektiven doppelblinden Studie nach, dass Patienten, die bereits paralytische Symptome zeigten, auf die Gabe von Edrophonium (Tensilon®) ansprachen. Daher empfahlen sie, bei jedem Bissopfer einer Kobra einen Tensilon®-Test durchzuführen und bei positivem Resultat eine Therapie mit Anticholinesterasen durchzuführen. Bei Kobrabissopfern hat die Verabreichung von Antivenin auf lokale Nekrosen wahrscheinlich sehr wenig Einfluss. Zeigen sich klinische Zeichen einer systemischen Vergiftung (Paresen, Schläfrigkeit mit oder ohne arterieller Hypotension), kann der Zustand durch Antiveningabe oft nicht mehr in beeindruckender Weise gebessert werden, da zu diesem Zeitpunkt die Toxine bereits an ihre Zielstrukturen gebunden sind [3]. Antivenin zeigt daher keine überzeugende Effizienz zur Neutralisierung neurotoxischer Effekte, die sich bereits manifestiert haben. Die Beatmung steht dann therapeutisch im Vordergrund, ohne jedoch auf die Antiveningabe zu verzichten.

Die erste Hilfe bei Schlangenbissen sollte die Giftresorption minimieren. Daher empfiehlt sich Immobilisation und Schienung der gebissenen Extremität während des Transports zum Spital [6]. Ringe, Uhren und einengende Kleidungsstücke sollten möglichst entfernt werden. Die Gefahren der Kompressions-Immobilisations-Methode beschränkt deren Einsatz auf Bisse, bei denen es nicht zu massiver Schwellung der Extremitäten kommt [3]. In unserem Fall, bei dem der Biss in der Ohrregion stattfand, kann die Resorption des Giftes nicht durch mechanische Maßnahmen verringert werden. Infusion des Antiserums, respiratorische Unterstützung sowie Schock- und Infektionsmanagement sind wichtige Therapieschritte. Inzision der Bisswunde, Aussaugen derselben und Applikation von Eis [6] sind kontraindiziert. Der Grad der Vergiftung hängt u. a. von der Menge des applizierten Gifts ab, der Anzahl der Bisse, der Lokalisation und Tiefe der Bisswunde (Bisse an Kopf und Stamm sind meist gefährlicher als Bisse an Extremitäten), Alter und Gesundheitszustand des Opfers und der Zeit, die bis zum Therapiebeginn verstreicht. In bis zu 50% der Fälle kommen auch so genannte „dry bites“ vor, d. h. obwohl eine Kobra zugebissen hat, applizierte sie kein Gift.

Nach jedem Biss einer Giftschlange sollte der Patient für mindestens 24 h überwacht werden. Blutbild, Gerinnungsstatus, Blutgasanalyse, Elektrolyte, Kreatinin und Urin sollten bei Eintreffen des Patienten abgenommen werden. Sauerstoffgabe und endotracheale Intubation können indiziert sein. Der hypovoläme Schock muss behandelt werden, und in schweren Fällen von Blutgerinnungsstörungen müssen Thrombozyten oder Gerinnungsfaktoren substituiert werden. Die frühzeitige Verabreichung von Antivenin mit Neutralisation der gerinnungsaktiven Toxine ist daher wichtig.

Ein Wundabstrich von der Bissstelle sollte entnommen werden, und eine tägliche Begutachtung der Wunde wird empfohlen. Grundsätzlich sind Schlangenbisse kein chirurgisches Problem. Leider lässt sich der Kliniker oft von einem massiven Ödem derart beeindrucken, dass eine Faszienspaltung (Fasziotomie) größeren Umfangs vorgenommen wird. Dies kann zu zahlreichen unnötigen Komplikationen führen. Das gefürchtete Kompartmentsyndrom ist bei Schlangenbissen eine extreme Ausnahme [5].Debridement sollte, wenn indiziert, durchgeführt werden. Antibiotika sollten nur bei Hinweisen auf eine Infektion eingesetzt werden.

Fazit für die Praxis: Ein 39-jähriger Patient präsentierte sich uns auf der Notfallstation in lebensbedrohlichem Zustand, nachdem er von einer Schlange gebissen worden war. Der Patient züchtete hobbymäßig Reptilien und hielt in Terrarien mehr als 20 verschiedene exotische Schlangen. Durch eine Unachtsamkeit zog er sich einen Biss einer thailändischen Kobra (Naja kaouthia) oberhalb seines rechten Ohres zu. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Patient trotz der Schwere des Bisses in Stammnähe dank der sofortigen Alarmierung des Notfalldienstes und der im Spital unverzüglich eingeleiteten Therapiemaßnahmen den Vorfall ohne bleibende Schäden überlebt hat. Eventuell hätte der Patient von einer zusätzlichen frühzeitigen Gabe von Cholinesterasehemmern profitiert.

Literatur:

  1. Britt A., Burkhart, K.: (1997) Naja naja Cobra bite. Am. J. Emerg. Med. 15: 529 – 531

  2. Gold, B.S.: (1996) Neostigmine for the treatment of neurotoxicity following envenomation by the Asiatic cobra. Ann. Emerg. Med. 28: 87 – 89

  3. Junghanss, T., Bodio, M.: (1995) Notfall-Handbuch, Gifttiere, Diagnose – Therapie – Biologie. Thieme, Stuttgart New York, S. 301 – 431

  4. Malasit, P., Warrell, D. A., Chanthavanich, P., Viravan, C., Mongkolsapaya, J., Singhthong, B., Supich, C.: (1986) Prediction, prevention, and mechanism of early (anaphylactic) antivenom reactions in victims of snake bites. BMJ 292: 17 – 20

  5. Mebs, D.: (1992) Gifttiere, ein Handbuch für Biologen, Toxikologen, Ärzte, Apotheker. Wiss. Verlagsges., Stuttgart, S 191

  6. Roberts, J.R.: (1992) Diagnosis and treatment of snakebite. In: Schwartz, G.R. (ed.) Principles and practice of emergency medicine. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia Baltimore New York London, pp. 1511–1523

  7. Trishnananda, M., Oonsombat, P., Dumavibhat, B. et al.: (1979) Clinical manifestations of cobra bite in the Thai farmer. Am. J. Trop. Med. Hyg. 28: 165 – 166

  8. Watt, G., Theakston, R.D.G., Curtis, G. et al.: (1986) Positive response to edrophonium in patients with neurotoxic envenoming by cobras. New Engl. J. Med. 315: 1444  – 1447

  9. Watt, G., Meade, B.D., Theakston, R.D. et al.: (1989) Comparioson of Tensilon® and antivenom for the treatment of cobra-bite paralysis. Trans. Roy. Soc. Trop. Med. Hyg. 83: 570 – 573

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Stand: 26. Dezember 2009

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