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Intox Cantharidin01
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Cantharidin-Vergiftungen.

Von Zdenko Stayr.

(Aus dem Medizinisch-Chemischen Institut der Deutschen Universität Prag. Direktor: Prof. Dr. R. Zeynek.)

Eine 43jährige Witwe empfing zum Tee häufig die Besuche eines Bekannten, der mit ihrem verstorbenen Manne befreundet gewesen war. Eines Tages gab er ihr bei einer solchen Gelegenheit ein Stück Schokolade. Sofort nach dem ersten Bissen fiel der Frau der auffallend scharfe salzige Geschmack dieser Schokolade auf, die sie trotzdem schluckte, da ihr der Besucher versicherte, das sei nur von etwas Pfeffer, den er zusammen mit der Schokolade in der Tasche gehabt habe. (Die Schokolade war unverpackt.) Kaum hatte die Frau die Schokolade hinuntergeschluckt, als sie ein heftiges Brennen im Mund und entlang der Speiseröhre bis in den Magen verspürte. Sie empfand heftigen Brechreiz und erbrach am Klosett geringe Mengen schwarzer Massen. Da die Patientin nach weiteren 2 Stunden neuerlich Blut erbrach und das Brennen im Mund und in der Magengegend noch weiter zunahm, wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert.

Nach der uns von der Klinik des Herrn Prof. Schmidt mitgeteilten Krankengeschichte zeigte Die Patientin dort zunächst allgemeinen Kräfteverfall; Zunge, Mund und Schleimhaut waren von weißen Ätzschorfen bedeckt. Außer den sehr heftigen Schmerzen im Mund, in der Speiseröhre und im Epigastrium litt die Patientin anfänglich auch unter sehr starken Schluckbeschwerden. Das Sensorium war nicht getrübt, die Temperatur nur am ersten Tage etwas erhöht. Bei starkem Harndrang entleerte die Patientin täglich ca. 700 cm³ eines stark getrübten, sauren Harns von anfänglich sehr geringem, später normalem spezifischem Gewicht. Wir erhielten täglich Harnproben zur Untersuchung; schon am ersten Tage waren kleine Mengen von Eiweiß, reichlich Erythrozyten und Epithelien sowie vereinzelte Leukozyten nachweisbar. Der Harn war gelbrot, Hämoglobin spektroskopisch reichlich nachweisbar.

Vom 3. Tag an nahm sowohl die Eiweißmenge, als auch die Zahl der Erythrozyten im Harn rasch ab. – Über die Untersuchung des Harns auf Cantharidin wird weiter unten berichtet.

Der weitere Verlauf der Vergiftung war günstig. Die Schorfe an der Mund- und Rachenschleimhaut stießen sich nach einigen Tagen ab, die Schmerzen und die Schluckbeschwerden ließen nach. Ungefähr 8 Tage nach der Vergiftung war auch der Harn wieder normal und die Patientin wurde bei gutem Allgemeinbefinden nach Hause entlassen.

Der Täter gab bei der gerichtlichen Einvernahme an, es habe sich um einen Scherz gehandelt und er sei sich über die Folgen einer Cantharidinvergiftung nicht im klaren gewesen. Das Cantharidin hatte er sich in Form gepulverter Canthariden bei einem Drogisten gekauft, bei dem die Polizei eine größere Menge der Droge vorfand. Die Schokolade hatte der Attentäter angebohrt, das Cantharidinpulver eingefüllt und die Höhlung mit dem Bügeleisen wieder geschlossen (er ist Schneider von Beruf). Mit Rücksicht auf die Fürbitte der Vergifteten kam der Mann mit einer geringen, im übrigen nur bedingten Strafe davon.

2.

Bei dem zweiten von uns untersuchten Fall handelte es sich um ein 19jähriges Mädchen, dem bei einer Tanzunterhaltung (Kirchweihfest) einer ihrer Tänzer „etwas“ in das Bier geschüttet hatte. Das Mädchen verspürte plötzlich starke Leibschmerzen, erbrach und musste die Unterhaltung sofort verlassen. Nach kurzer Zeit verschlechterte sich der Zustand in solchem Grade, dass die Vergiftete ins Krankenhaus geschafft werden musste. Das Brennen sowie die Schmerzen im Leib und insbesondere in der Nierengegend nahmen noch weiter zu; es wurde ein trüber, blutig tingierter Harn entleert.

Der in unserem Laboratorium untersuchte Harn enthielt 2 ‰ Eiweiß, etwas Hämoglobin, im Sediment Epithelzellen und zahlreiche Erythrozyten. Auch hier gingen die Vergiftungserscheinungen jedoch rasch zurück; bereits 12 Tage nach der Vergiftung konnte die Patientin bei bestem Wohlbefinden und vollkommen normalem Harnbefund wieder nach Hause entlassen werden. Auch in diesem Falle bestand kein Interesse an der gerichtlichen Verfolgung des Attentäters. Von einer aphrodisischen Wirkung des Giftes wurde in keinem der beiden Fälle berichtet.

Es scheint, dass die Versuche, Cantharidin als Aphrodisiakum zu missbrauchen, sich in letzter Zeit häufen. So wurden in einem Falle, der allerdings unseres Wissens nicht zur chemischen Untersuchung gelangte, im Dezember 1935 in einem slowakischen Dorf 25 Personen (10 Männer und 15 Frauen) bei einer Tanzunterhaltung (Nikolofeier) mit Canthariden vergiftet, die einige Bauernburschen aus einer Drogerie bezogen und in selbstfabrizierte Schokoladebonbons verschlossen hatten. Für die Vorstellung, die man sich hier von der Wirksamkeit dieses Mittels macht, ist es charakteristisch, dass die Täter von diesen Schokoladenbonbons auch selbst reichlich gegessen hatten und dass sie neben dem Tanzlokal bereits einen Nebenraum gemietet und entsprechend vorbereitet hatten. Soweit wir unterrichtet sind, war auch in diesem Falle der Verlauf der Vergiftung ein gutartiger.

Die chemische Untersuchung des Harns erfolgte in den beiden vorgenannten Fällen durch Ausschüttelung des Cantharidins mit Chloroform aus dem mit Alkohol enteiweißten, nach Entfernung des Alkohols mit Schwefelsäure angesäuerten Harn. Bemerkenswert ist, dass die Menge des Cantharidins in den ersten zur Untersuchung gelangten Harnproben (bis 24 Stunden) weitaus am größten war, dann aber rasch zurückging.

Zur Kontrolle wurde die aus dem Harn gewonnene Substanz auch biologisch geprüft. Hierzu wurde die Substanz in wenig Lanolin gelöst (unter Erwärmen) und sodann auf die Innenseite des Unterarms in dünner Schicht aufgetragen. Die bestrichene Stelle wurde mit einem Celophanfilm bedeckt, der an den Rändern mit Heftpflasterstreifen fixiert wurde. Auf der symmetrischen Stelle des andern Arms wurde eine Kontrollprobe mit Lanolin in analoger Weise fixiert. Die Reaktion, die in typischer Weise ablief, konnte durch das Cellophan bequem beobachtet werden.

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Zd. Stary, Med. chem. Institut der Deutschen Universität, Prag II.

Quelle: Stary, Zd.: Cantharidin-Vergiftungen. Sammlung Vergiftungsfälle, Band 7, A 614, S. 117 - 118, 1936.

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Stand: 26. Dezember 2009

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