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Kanthariden-Vergiftung. Bericht von H. Czerwonka, Elisabeth-Diakonissen- u. Krankenhaus, Berlin. Am Abend des 30. Novembers 1928 nahmen drei Personen (zwei Herren und eine Dame) je eine Messerspitze Kanthariden-Pulver auf einem Stückchen Brot, angeblich zur „Nervenstärkung“. Nach etwa ½ Stunde gewahrten sie ein Brennen und ein unangenehm ziehendes Gefühl im Munde und tranken zur Linderung ein Glas Bier. Gleichzeitig trat Übelkeit auf. Gegen 1 Uhr nachts kamen die Patienten ins Krankenhaus, wo sich bei allen starker Urindrang einstellte. Nach Verabreichung von Milch setzte sehr starkes Erbrechen ein, das erst auf eine Morphiumgabe nachließ. Ein Herr und die Dame blieben im Krankenhaus, während der dritte wegging und nicht weiter beobachtet werden konnte. Bei allen Vergifteten war eine starke Verätzung der Zungen- und Mundschleimhaut bis zu den Gaumenbögen aufgetreten und die Schleimhaut hing in großen Fetzen im Munde. Bei beiden Aufgenommenen hielt am nächsten Morgen der Harndrang noch an, es wurden blutig durchtränkte Schleimhautfetzen entleert, obschon der Urin fast klar war. Nach dem Urinieren waren Schmerzen in der Harnröhre und Blase vorhanden. Bei jedem Versuch, Flüssigkeit zu sich zu nehmen, erbrachen die Kranken und hatten starke Schmerzen im Munde. Während der Vergiftung sollen Erektionen und Gefühl gesteigerter Libido nicht aufgetreten sein. Bekanntlich werden zu diesem Zwecke Kanthariden mitunter gebraucht. Beide Vergiftete klagten aber über Schmerzen in der Nierengegend. Der Harn enthielt 12 Stunden nach der Aufnahme des Pulvers 3 bzw. 3,5 ‰ Eiweiß, das Sediment zeigte massenhaft Erythrozyten und reichlich verfettete runde Zellen. Die Stuhlentleerungen wiesen eine positive Benzidinreaktion auf, waren also bluthaltig. Herz und Lungen waren ohne Befund. Die Behandlung bestand in kalter Milch, Eiweißmilch und Eisstückchen. Anfangs trat beim geringsten Trinkversuch Erbrechen ein. Der Harn enthielt am 2. Dezember noch 3 – 4 ‰ Eiweiß, das Sediment war unverändert, die Benzidinprobe des Stuhlganges war noch positiv. Das Erbrechen hörte fast auf, doch bestand noch starke Übelkeit. Am 3. Dezember bestand starkes Hungergefühl, es wurden leichte Speisen vertragen. Im Harn waren noch Eiweißspuren und reichlich Erythrozyten. Die Verätzungen im Munde heilten gut, obschon beim Sprechen und Lachen noch Schmerzen vorhanden waren. Übelkeit bestand nicht mehr. Am 4. Dezember fanden sich im Munde nur geringe Epithelexkoriationen, Allgemeinbefinden gut, im Harn kein Eiweiß, im Sediment vereinzelte Erythrozyten und Leukozyten. Leichte Speisen wurden gut vertragen. Die Dame verlässt das Krankenhaus vor vollendeter Heilung und begibt sich in häusliche Behandlung. Der Herr bekam beim Aufstehen Schwindelgefühl, Brennen in der Speiseröhre und Übelkeit. Auch er verlässt aus äußeren Gründen vor vollendeter Heilung das Krankenhaus. Wenn auch schon Gaben von 3 – 7 g Kantharidenpulver überstanden worden sind, so nähert sich die hier aufgenommene Menge (eine Messerspitze = etwa 1 – 2 g) der kleinsten tödlichen Dosis von 1,5 g. (Ausführlicher Bericht in Med. Welt 1929, 3, 86.) Entzündungserregende, dem Kanthariden ähnliche Stoffe, haften auch an den Haaren mancher Raupenarten an. Ein Fall von Raupenhaar-Ophthalmie (Ophthalmia nodosa) wurde von Birch-Hirschfeld im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg am 1. Dezember 1930 vorgestellt. Einem Kinde war eine Raupe (vermutlich eine Bombyxart ans Auge geworfen worden. Es trat eine heftige, rezidivierende Iritis auf. Es fanden sich unter anderem an der Iris Knötchen, die denen bei Tuberkulose glichen. (Vgl. Med. Klin. 1931, 16, 605.) Quelle: Bachem C.: Kanthariden-Vergiftung. Sammlung von Vergiftungsfällen, Band 3, A 244, S. 163 - 164, 1932 |
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