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Umgang mit hochkontagioesen lebensbedrohlichen Erkrankungen Hessisches Sozialministerium und Kompetenz-Zentrum für hochkontagiöse lebensbedrohliche Erkrankungen am Stadtgesundheitsamt Frankfurt Management bei Verdacht auf eine lebensbedrohliche hochkontagiöse Erkrankung (HKLE) 1. Falldefinition Als lebensbedrohliche hochkontagiöse Infektionen werden gegenwärtig verschiedene durch Viren ausgelöste hämorrhagische Fieber (Ebola, Lassa, Marburg, Krim-Kongo und möglicherweise weitere Erreger), sowie die Lungenpest und Infektionen durch Orthopoxviren angesehen. Keine dieser Infektionen ist bislang originär in Deutschland aufgetreten. Allen Infektionen ist gemeinsam, dass sie von Mensch zu Mensch übertragen werden können und eine hohe Mortalitätsrate haben. Eine besondere Gefährdung besteht auf Grund des engen Kontakts zu infektiösen Material für das versorgende Personal in Krankenhäusern. In den letzten Jahren wurden in Deutschland und Europa mehrfach Patienten mit importierten hochkontagiösen hämorrhagischen Fiebern (Lassa) und mehrere Verdachtsfälle in Krankenhäusern behandelt und eine große Unsicherheit mit den nötigen Sicherheitsvorkehrungen deutlich. Die vorliegenden Richtlinien sollen jetzt einen Rahmen vorgeben. Entscheidend ist, dass bei dem klinischen und anamnestischen Verdacht auf eine hochkontagiöse lebensbedrohliche Erkrankung rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Letztendlich ist die zeitnahe Erhebung der Verdachtsdiagnose die wesentliche Voraussetzung für das adäquate Management von lebensbedrohenden hochkontagiösen Infektionskrankheiten. Das unverzüglich zu verständigende Gesundheitsamt soll die betroffene Klinik / Praxis beraten und notfalls die adäquaten Maßnahmen zum Schutz von Personal und Umgebung auch anordnen. 2. Erreichbarkeit der Gesundheitsämter Alle Gesundheitsämter müssen 24 Stunden täglich erreichbar sein, um im Falle einer hochkontagiösen Erkrankung die notwendigen Maßnahmen koordinieren zu können. Entsprechend müssen die Telefonnummern der Gesundheitsämter den Ärzten und Kliniken regional bekannt gegeben werden. Außerhalb der Dienstzeit ist die Erreichbarkeit über die jeweilige Rettungsleitstelle sicherzustellen. Sobald die Meldung eines Verdachtsfalles eintrifft, muss die Amtsärztin / der Amtsarzt oder die diensthabende Ärztin / der Arzt eine Plausibilitätskontrolle vornehmen, insbesondere soll überprüft werden, ob wichtige Differentialdiagnosen (z.B. Malaria) ausgeschlossen wurden. In der Regel ist dazu eine Anamneseerhebung vor Ort notwendig. 3. Begründeter Verdachtsfall Sobald eine Klinik / Arzt einen Verdachtsfall gemeldet hat, ist vom Arzt des Gesundheitsamtes an Hand der der klinischen Daten, der Symptome und vor allen Dingen der (Reise) Anamnese, festzustellen ob eine lebensbedrohende hochkontagiöse Erkrankung vorliegen kann (begründeter Verdachtsfall). Bei der Anamneseerhebung sind durch Befragung der behandelnden Ärzte, von Angehörigen oder dem Patienten einige für die Einordnung des Falles wichtige Daten zu erheben. Dazu gehören:
Zur Erleichterung der Datenfeststellung wurde ein Fragebogen entwickelt (Patientenanamnesefragebogen). 4. Einschaltung des Kompetenzzentrums FFM Bei weiter bestehendem Verdacht ist Rücksprache mit dem Kompetenzzentrum in Frankfurt erforderlich. Dieses soll eine Beratung über die vorliegenden Befunde, mögliche Diagnosen, erforderliche Diagnostik und notwendige Schutzmaßnahmen durchführen. Je nach Fallkonstellation kann eine Besichtigung vor Ort erforderlich sein. Das Kompetenzzentrum hilft bei der Einordnung des Falles und der Entscheidung über Verlegung bzw. zur Ergreifung von Maßnahmen bei Verbleib im aufnehmenden Krankenhaus. Die verantwortliche Stelle bleibt das zuständige Gesundheitsamt. 5. Transport des Patienten in ein geeignetes Krankenhaus Sobald die Isolierstation in Frankfurt eingerichtet ist, soll bei einem begründeten Verdacht die Verlegung möglichst umgehend erfolgen. Bis dahin soll eine Verlegung nur erfolgen, wenn das betroffene Krankenhaus keine Möglichkeit zur adäquaten medizinischen Versorgung (z.B. Intensivtherapie / Dialyse etc.) hat. Die Anforderung des Sondertransportes muss über das Kompetenzzentrum Frankfurt erfolgen, da derartige Transporte in Hessen nur mit einem geeigneten Fahrzeug und ausgebildetem und mit entsprechender Schutzausrüstung versehenem Personal durchgeführt werden dürfen. Ausgewiesen dafür ist nur die Feuerwehr in Frankfurt am Main. Die fachgerechte Desinfektion im Anschluss an den Transport erfolgt in der Anlage zur Formaldehydverdampfung an der Feuerwache 5 in Frankfurt am Main. Bis zum Beginn des Patiententransportes ist eine Vorlaufzeit von einer Stunde zuzüglich der Fahrzeit bis zum Einsatzort zu kalkulieren.
Patienten außerhalb medizinischer Versorgungseinrichtungen, bei denen ein
entsprechender Anfangsverdacht geäußert wird, sind vom örtlich zuständigen
Rettungsdienst mit den Schutzvorkehrungen (Mund- und Augenschutz, Handschuhe,
Schutzkittel) zu transportieren und bei vitaler Gefahr
auch zu versorgen. 6. Vorläufige Isolierung des Patienten Bis zum Transport oder bis auf weiteres, falls der Patient nicht verlegt werden kann, ist eine provisorische Isolierung durchzuführen. In einer Klinik müssen mindestens die nachstehend aufgeführten Vorkehrungen getroffen und vom Gesundheitsamt notfalls auch angeordnet werden (vorläufige Isolierung).
Das Gesundheitsamt muss nach der Feststellung eines begründeten Verdachtfalles die eingeleiteten Maßnahmen im Krankenhaus vor Ort überprüfen. 7. Spezielle Diagnostik In Deutschland gibt es ein Konsiliarlabor für importierte Virusinfektionen mit einer 24 stündigen Bereitschaft (Bernard-Nocht-Institut für Tropenmedizin) und ein Konsiliarlabor für Filoviren (Virologisches Institut der Universität Marburg), die unter den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen die Anzüchtung und Diagnostik entsprechender Viren durchführen können und dürfen. Der Probenversand für die spezielle Diagnostik muss in besonderen Sicherheitsgefäßen, spezieller Verpackung und Beschriftung mit besonderen Begleitpapieren erfolgen. Gefäße und Papiere müssen zumindest an einer Stelle im Landkreis / Stadt vorhanden und jederzeit zugänglich sein. Die Gesundheitsämter sollen sich über Transportmöglichkeiten vor Ort informieren (Telefonnummern von Courierunternehmen u.ä.) (Versand von BSL 4-Erreger-verdächtigem Untersuchungsmaterial). 8. Todesfall Für den Todesfall müssen Flüssigkeits- und luftdicht verschließbare Leichensäcke verwendet werden, die an einer Stelle im Landkreis bzw. der kreisfreien Stadt vorgehalten werden sollen. Das Pflegepersonal in Schutzanzügen sollte die Leiche in den Leichensack legen, diesen von außen desinfizieren und die Leiche am üblichen Ort lagern (Pathologie). Unter Aufsicht des Gesundheitsamtes ist die Leiche in dem Leichensack in einen Holzsarg zu betten und in das nächste Krematorium zu bringen. Der Sarg darf nicht mehr geöffnet werden. Grundsätzlich ist eine Verbrennung der Leiche erforderlich und notfalls auch anzuordnen. Eine Obduktion soll in der Regel nicht erfolgen. Blutproben oder ein z.B. Leberbiopsiezylinder sind für die Diagnostik oft ausreichend. Wenn eine Obduktion erforderlich sein sollte, ist diese auch bei Verdachtsfällen unter Sicherheitsbedingungen (Schutzkleidung mit Respiratoren, anschließende Raumdesinfektion etc.) durchzuführen. 9. Listen der Kontaktpersonen Solange der Verdacht noch nicht bestätigt ist, sollten nur die Namen der Personen ermittelt werden, die engeren Kontakt zum Indexfall hatten (Pflegepersonal, Ärzte, Laborpersonal, Rettungsdienst bei vorangegangenem Transport und Familienangehörige). Achtung: Der entscheidende Zeitpunkt zur Erfassung von Kontaktpersonen ist der Beginn der Symptome beim Indexpatienten! Nach Bestätigung der Diagnose sollten alle bekannten Kontaktpersonen genauer befragt werden. Dazu ist es sinnvoll, einen Fragebogen zu entwerfen, der die Einordnung in die Risikogruppe ermöglicht, z.B. wer hatte direkten, ungeschützten Kontakt zu Blut oder anderen Körpersekreten, gab es Verletzungen durch Nadelstiche oder ähnliches. (Differenzierung von VHF-Kontaktpersonen nach Risiken; Erfassungsbogen für Kontaktpersonen) 10. Maßnahmen und Risikoeinstufung bei Kontaktpersonen Die anzuordnenden Maßnahmen für Kontaktpersonen nach Bestätigung der Diagnose richten sich nach der Risikoeinstufung (Maßnahmen bei Kontaktpersonen eines nachgewiesenen Falles einer hochkontagiösen Erkrankung). Nach Bestätigung der Diagnose sind alle Kontaktpersonen zu informieren und zur Eigenüberwachung anzuleiten. Bei Personen der Risikogruppe I a/b ist z.B. bei Lassa Fieber an eine medikamentöse Prophylaxe zu denken. Tätigkeitsverbote sind in der Regel erst bei Auftreten von Symptomen bei der Kontaktperson notwendig. Die Aufnahme von Kontaktpersonen auf die Isolierstation ist nur notwendig, wenn Symptome auftreten, die auf eine Infektion mit der in Frage stehenden Erkrankung hindeuten. Lediglich für Kontaktpersonen der Risikogruppe I a soll immer eine Krankenhausaufnahme unter Isolierungsbedingungen (gegebenenfalls zur Durchführung einer medikamentösen Prophylaxe) erfolgen. Die Aufklärung der Kontaktpersonen erfolgt durch das Gesundheitsamt - in Kliniken idealerweise in Zusammenarbeit mit der Klinik- und Pflegedienstleitung. Die Aufklärung kann je nach Sachlage auf andere Ärzte z.B. der Klinik übertragen werden. Insbesondere in den Kliniken hat sich herausgestellt, dass die psychologische Belastung des Personals sehr hoch ist. Bei bestätigter Diagnose ist unbedingt eine intensive Personalbetreuung, wenn möglich mit psychologischer Unterstützung, sicherzustellen. Das unmittelbar den Patienten betreuende Personal soll bereits bei dem Verdacht auf die Erkrankung aufgeklärt werden - auf den Einsatz schwangerer Frauen soll verzichtet werden (evtl. notwendige Ribavirin [Virazole®] - Prophylaxe. Das Kompetenzzentrum FFM übernimmt in Absprache mit dem HSM die Koordination bei Maßnahmen gegenüber Kontaktpersonen, wenn mehrere Landkreise / Städte betroffen sind. 11. Meldeverpflichtungen Der Verdachtsfall ist in der Regel vom feststellenden Arzt (§§ 6, 8 IfSG) unverzüglich dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Der Vertreter des Gesundheitsamtes muss ebenfalls unverzüglich die oberste Landesgesundheitsbehörde informieren (§ 12 IfSG). Die oberste Gesundheitsbehörde verständigt das RKI (§ 12 IfSG) und wenn notwendig das BMG und andere Bundesländer (§ 5 IfSG). Das RKI übernimmt die internationalen Meldeverpflichtungen (WHO, EU). 12. Informationsfluss Organisatorisch soll im Gesundheitsamt ebenso wie in der Klinik eine Person bestimmt werden, die nur für die Zusammenführung der Informationen, vorausschauende Planung, Presse und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Es ist angebracht in einem solchen Fall spezielle, nicht öffentlich bekannte Rufnummern einzurichten. Die örtlich zuständige Behördenleitung (z.B. Landrat) sowie die örtliche Pressestelle sollten spätestens bei Bestätigung der Diagnose informiert werden. Eine aktive Information der Öffentlichkeit ist nur notwendig, wenn ein übergeordnetes Interesse zum Schutz anderer Menschen besteht, z.B. weil Kontaktpersonen ermittelt werden müssen oder bei ähnlichen Sonderfällen. Ansonsten gilt die ärztliche Schweigepflicht. Die Presseinformation zum Fall sollte die betroffene Klinik übernehmen, eine Koordinierung mit dem Gesundheitsamt und dem Sozialministerium ist unbedingt anzuraten. Sollte ein Medieninteresse vorhanden sein, ist eine Durchführung von gemeinsamen Pressekonferenzen (mindestens Klinik, Gesundheitsamt) zu empfehlen. Die Einrichtung eines Bürgertelefons ist bei Berichterstattung in der Presse erfahrungsgemäß ebenfalls notwendig. Die Liste wichtiger Telefonnummern sollte um örtlich relevante Anschlüsse ergänzt werden. Das Vorgehen bei einem Verdachtsfall hochkontagiöser lebensbedrohlicher Infektionen muss allen Ärzten der Gesundheitsämter in Hessen bekannt sein. Es ist darauf zu achten, dass die örtlichen Krankenhäuser das entsprechende Vorgehen in die jeweiligen Hygienepläne aufgenommen haben. Für den Ablauf in der Klinik dient das Schema Management bei Verdacht auf gefährliche, von Mensch zu Mensch übertragbare Krankheiten. |
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