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Quelle: Dtsch med Wochenschr 2000; 1361-1365 Ätiologisch zunächst unklare Verwirrtheit und Exzitation im Verlauf einer Tollkirschenvergiftung mit suizidaler Absicht Symptomatik, Differentialdiagnose, Toxikologie und Physostigmin-Therapie des anticholinergen Syndroms S. Heindl, C. Binder, H. Desel, U. Matthies, I. Lojewski, B. Bandelow, G. F. Kahl, J.-M. Chemnitius Anamnese und klinischer Befund: Eine 55-jährige Lehrerin wurde 8 Stunden nach einem Waldspaziergang schläfrig und kooperationsunfähig in die Notaufnahme einer Universitätsklinik eingeliefert. Die klinischen Untersuchungen ergaben bis auf eine gering erhöhte Körpertemperatur (37,8˚C rektal) und eine Sinustachykardie (130/min) keine pathologischen Befunde. Untersuchungen: Mit Ausnahme von C-reaktivem Protein (10 mg/dl), MCV (101 fl), MCH (34 pg) und der Blutgasanalyse (pH 7,483, pCO2 35,5 mmHg, BE 5,1 mmol/1) lagen die Laborparameter im Normbereich. Das qualitative Screening einer Serumprobe auf Benzodiazepine, Barbiturate und Antidepressiva blieb negativ. Neurologische Untersuchung, Lumbalpunktion und kraniale Computertomographie erbrachten keine wegweisenden Befunde. Therapie und Verlauf: 10 Stunden nach der stationären Aufnahme entwickelte die Patientin klinische Zeichen eines anticholinergen Syndroms mit Mydriasis, Mundtrockenheit, Tachykardie, Hautüberwärmung und Blasenatonie. Die intravenöse Gabe von 2 mg Physostigmin i.v. hob die neurologische und psychische Symptomatik vollständig auf. In einer Urinprobe wurde nach gaschromatographischer Auftrennung massenspektrometrisch ein Atropin-Fragment vom Molgewicht 271 nachgewiesen. Das Wiederauftreten von Verwirrtheit und Exzitation erforderte insgesamt vier Mal die erneute Gabe von Physostigmin. Im Verlauf war die Patientin einer psychiatrischen Exploration zugänglich und berichtete, sie habe während des Waldspazierganges in suizidaler Absicht 8-10 Tollkirschen zu sich genommen. Folgerung: Bei unklaren Exzitations- und Verwirrtheitszuständen wie auch bei unklarer Somnolenz (Koma) muss ein durch atropinhaltige Pflanzen oder durch Psychopharmaka (Phenothiazine, Butyrophenone, tri- und tetrazyklische Antidepressiva) verursachtes anticholinerges Syndrom differentialdiagnostisch erwogen werden. Bei durch Tachykardie, Somnolenz, Koma oder drohenden Atemstillstand kompliziertem Verlauf sollte nach Beachtung von Kontraindikationen die Therapie mit dem indirekten Parasympathomimetikum Physostigmin begonnen werden. |
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