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Belladonna-Vergiftung durch fluessigen Leberextrakt. Von N. F. Winder und C. H. Manley Der nachstehend beschriebene Fall einer Belladonna-Vergiftung ist unter recht ungewöhnlichen Umständen zustande gekommen, so dass seine ausführliche Beschreibung gerechtfertigt erscheint. Am Sonntag, den 15. September 1935 nahm eine 46jährige Frau, die am einer perniciösem Anämie litt ½ oz. (= 14,23 g) Leberextrakt. Ca. eine halbe Stunde nach der Einnahme entwickelte sich das Bild einer typischen Belladonna-Vergiftung mit den bekannten Symptomen: Trockenheitsgefühl im Mund, Hautrötung, Sehstörungen, Steifheitsgefühl in den Armen und Beinen und leichtes Delirium. Sie hatte bereits sechs 15 oz. (= 425,243 g) Flaschen desselben Fabrikates ohne jeden Schaden eingenommen. Trotz der Vergiftungserscheinungen nahm sie ärztliche Hilfe nicht in Anspruch. Bis zum Dienstag, den 17.9. nahm sie keinen Leberextrakt mehr. Als sie an diesem Tag nur 2 Drachmen (= 7,776 g) Leberextrakt einnahm, entwickelte sich wiederum das gleiche Vergiftungsbild. Die Pupillen waren maximal erweitert. Die Patientin lief im Raum umher, um nicht einzuschlafen. Nach Verabfolgung von Morphin, Strychnin und heißem Kaffee durch den Arzt schwanden die Vergiftungserscheinungen rasch. Die Hersteller des Leberextraktes wurden sofort benachrichtigt, um die übrigen Teile der Fabrikationscharge, zu der die betreffenden Flasche gehörte, aus dem Verkauf zu ziehen und weiteres Unglück zu verhüten. Der restliche Flascheninhalt wurde auf Belladonnaalkaloide untersucht. Der letzte Chloroformauszug der ammoniakalischen Lösung lieferte einen Rückstand, der nach Trocknung bei 40 - 50°C die typischen Alkaloidniederschläge mit Wagners und Mayers Reagenz lieferte. Auch die Vitali-Reaktion fiel positiv aus. Ein entsprechender Versuch mit einem von anderer Stelle bezogenen Leberextrakt lieferte ein negatives Ergebnis. Bei einer quantitativen Untersuchung konnten aus 2 fl. oz. (= 56,824 cm³) des Leberextraktes 5 mg des Alkaloids erhalten werden, entsprechend einem Maximum von 1/25 grain (= 2,59 mg) pro fl. oz. (= 28,412 cm³) bzw. 1/50 grain (= 1,296 mg) in der Dosis vom Sonntag, bzw. 1/100 grain (0,648 mg) in der Dosis vom Dienstag. Dr. W. Brain vom Pharmakologischen Laboratorium der Leeds School of Medicine führte einige biologische Untersuchungen aus. Er fand, dass bei Verwendung einer neutralisierten Lösung des Alkaloidhydrochlorids der Zusatz einiger Tropfen zur Durchspülungsflüssigkeit eines isolierten Froschherzens das Herz gegen die Wirkung von Acetylcholin völlig unempfindlich machte und einige Tropfen der Lösung bei der Katze eine maximale Pupillenerweiterung erzeugte. Demnach war zu schließen, dass es sich um Atropin bzw. um der Belladonnagruppe zugehörige Alkaloide handelte. Da nach der quantitativen Bestimmung 1 fl. oz. (= 28,4 cm³) des Leberextraktes einer Menge von 226,8 g (= ½ lb) Leber entsprach, musste der Gesamtalkaloidgehalt der Leber etwa 1/12 grain (= 5,4 mg) pro lb (= 453,59 g) entsprechen. Da die Dosis von 2 Drachmen (= 7,78 g) nicht mehr als 1/100 grain (= 0,648 mg) des Alkaloids enthielt [die therapeutischen Dosen liegen zwischen 1/240 grain (= 0,27 mg) und 1/60 grain (= 1,8 mg)], ist es immerhin bemerkenswert, dass es zu so schweren Vergiftungserscheinungen kam. Immerhin sei zu berücksichtigen, dass die Toleranz Erwachsener geringer ist als die von Kindern. Zudem seien die Gesamtalkaloide der Belladonna (Hyoscyamin + Atropin) wesentlich wirksamer als Atropin allein. Zudem ist nach Ansicht der Verfasser in den Fällen die Belladonnawirkung ausgesprochener, in welchen an sich keine Indikation zur Verabreichung von Belladonna besteht als in denen, wo Symptome vorhanden sind, die eine Belladonnaverabreichung indiziert erscheinen lassen. Wie kam nun aber Belladonna in den Leberextrakt? Dass der Flascheninhalt mit einem Atropinsalz oder einer sonstigen Belladonnazubereitung in Berührung gekommen war, wurde von den Herstellern strikt abgelehnt. Auch waren in der Flasche vor Einfüllung des Leberextraktes sicherlich keine derartigen Lösungen aufbewahrt worden. Ähnliche Vergiftungserscheinungen wurden zudem bei anderen Patienten, die aus anderen Flaschen Leberextrakt der gleichen Firma und der gleichen Fabrikationscharge nahmen, beobachtet. Auch hier ergab die Analyse einwandfrei das Vorhandensein von Belladonnaalkaloiden, die bei quantitativer Untersuchung mengenmäßig den in der ersten Flasche gefunden etwa entsprachen. Die andere Möglichkeit war die, dass das Vieh, dessen Lebern später zu Extrakt verarbeitet worden waren, vor dem Schlachten belladonnahaltige Pflanzen gefressen hatte. Nach der B. P. von 1932 müssen zur Herstellung von Leberextrakten die Lebern von Ochsen und Schafen benutzt werden. Nach Dixon (Pharmakology, S. 82) sind Pflanzenfresser gegen die Belladonnawirkung recht resistent. Kaninchen reagieren auf die Verfütterung von belladonnahaltigen Blättern kaum. Firth und Bentley beschrieben Vergiftungserscheinungen bei einem Mann, zwei Frauen, einer Katze und einem Hund, die ein halbes Kaninchen verzehrt hatten, das ohne Schaden für sich selbst Pflanzenteile der Belladonna gefressen hatte. Aus der anderen Hälfte des Kaninchens konnte Belladonna isoliert werden (vgl. Lancet 1921, 11, 901). Nach Lander (Veterinary Toxicologie, S. 246) sind Katzen, Hunde und Vögel sehr belladonnaempfindlich, Pferde und Ochsen weniger, während Schweine, Ziegen, Schafe und Kaninchen durch Belladonna nicht vergiftet werden können. Im vorliegenden Fall nehmen die Verfasser an, dass sich bereits in den zur Leberextraktbereitung benutzten Lebern der Tiere Belladonna befand. Da jedoch Atropin sehr rasch durch den Urin ausgeschieden wird, sei anzunehmen, dass die Tiere ganz kurz vor dem schlachten Atropa belladonna gefressen haben. Die Hersteller gaben auch noch an, dass die Lebern der betreffenden Fabrikationscharge ihres Wissens von argentinischen Ochsen stammte, was insofern eine Ausnahme war, als sie sonst nur die Lebern von kanadischen Vieh verarbeiteten. Verfasser hielten es für richtig, jede Charge der hergestellten Leberextrakte auf das Vorhandensein von Alkaloiden zu prüfen. Ausführlicher Bericht in Brit. Med. Journ. Nr. 3921, 413. 1936 Referent: Taeger, München Quelle: Taeger: Belladonna-Vergiftung durch flüssigen Leberextrakt. Sammlung von Vergiftungsfällen, A 607, Band 7, S. 97 - 98, 1936 |
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