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Belladonnablaetter-Vergiftung durch das Mittel „Anti-Krebs“

Von C. Griebel.

(Aus der Preußischen Landesanstalt für Lebensmittel-, Arzneimittel- und gerichtliche Chemie, Berlin-Charlottenburg.)

Eine Anmerkung des Referenten E. Wrede zu dem Artikel „Vergiftung durch Blutreinigungstee“ von  K. Patschowski (A 608, Bd. 7, Lief. 7, S. 99) gibt Anlass, den nachstehenden Fall mitzuteilen.

Ein Zimmermeister in einem kleinen Orte Norddeutschlands vertrieb bis vor wenigen Jahren ein Mittel, das angeblich schon seit über 100 Jahren in seiner Familie hergestellt und als Geheimnis bewahrt wurde. Das als „Anti-Krebs“ bezeichnete Pulver pries er als ausgezeichnetes Mittel gegen unreines Blut und die Begleiterscheinungen dieses Leidens: Magen-, Darm- und Hautgeschwüre, Appetitlosigkeit, Gallensteine, Flechten, Hämorrhoiden, Fisteln, Polypen usw. an. In dem Prospekt hieß es weiter: „Sein Hauptwert besteht aber darin, dass es bisher das einzige Mittel ist, das die mit Recht so gefürchtete Krebskrankheit selbst in einem schon weit fortgeschrittenem Stadium auch nach Operation, wenn solche bereits gemacht ist, heilt. Durch die kräftige Wirkung des Mittels darf sich niemand abschrecken lassen, weil es vollständig unschädlich ist.“

Der Hauptbestandteil des Mittels waren die Blätter einer Pflanze, die vom Hersteller des Pulvers im Garten kultiviert und von den Familienmitgliedern als „Teebusch“ bezeichnet wurde. Die nach einer bestimmten Zeit geernteten Blätter wurden nach Aussage des Angeklagten nach dem Trocknen zerrieben und dann mit einem aus der Apotheke bezogenen Stoff vermengt. Dieses Gemenge gelangte in 0,7 bis 1,1 g schweren Pulvern zur Abgabe. Erforderlich für eine Kur waren 4 – 10, in besonderen Fällen noch mehr Pulver (4 Pulver = 5,-- RM.).

Die Untersuchung ergab, dass die Pulver ganz überwiegend aus Tollkirschenblätter bestanden. Daneben war in geringer Menge (10 – 20 %) noch das Pulver von einer Laubflechte vorhanden, anscheinend Lungenflechte. Dies war offenbar die Substanz, die der Hersteller aus der Apotheke bezog und den zerriebenen Tollkirschenblättern beimengte. Auch durch die makroskopische und mikroskopische Untersuchung der im Winter noch auf dem betreffenden Gartenbeet befindlichen abgestorbenen Stengeln wurde das Vorliegen von Tollkirsche (Atropa Bella-donna L.) festgestellt.

Wiederholte Verfahren, die gegen den Hersteller wegen Verkauf des Mittels geschwebt hatten, waren stets im Sande verlaufen. Dem Anlass zu einem neuen Eingreifen der Staatsanwaltschaft lieferte folgender Fall. Ein junges Mädchen (Sekretärin), der die Pulver zur Blutreinigung empfohlen worden waren, erblindete nach dem Einnehmen des Mittels vorübergehend und wurde dadurch 2 Tage an der Ausübung ihres Berufes gehindert. Bei der Vernehmung vor Gericht gab diese Zeugin an, sie habe nach dem Einnehmen des Pulvers an Übelkeit und Schwindel gelitten, die Augen waren gerötet, die Pupillen vergrößert. Das Sehvermögen verschlechtere sich dauernd, bis sie angeblich schließlich überhaupt nichts mehr sehen konnte. Am 3. Tage hatte sich ihr Zustand soweit gebessert, dass sie ihre Tätigkeit wieder aufnehmen konnte. Da weitere Beschwerden dann nicht mehr auftraten, wurde von der Zuziehung eines Arztes abgesehen.

Wenn man berücksichtigt, dass nach dem Deutschen Arzneibuch die größte Einzelgabe für Tollkirschenblätter 0,2 g beträgt – ein Pulver Anti-Krebs überschreitet also die Maximaldosis unter Umständen um mehr als das Vierfache – so ist die oben geschilderte Wirkung des Mittels durchaus erklärlich.

Dem Hersteller des Mittels war übrigens auch bekannt, dass bei vielen Patienten nach dem Einnehmen der Pulver eine Schwächung des Augenlichtes einzutreten pflegt. Er hat aber gelegentliche Beschwerden seiner Abnehmer über die unangenehmen Wirkungen der Pulver mit der Bemerkung abgetan, sie dürften sich durch die kräftige Wirkung nicht irre machen lassen, das Pulver sei vollkommen unschädlich. Immerhin darf es wohl als ein Zufall bezeichnet werden, dass bei einer so beträchtlichen Überschreitung der Maximaldosis von Belladonnablättern nicht schon öfter starke Schädigungen eingetreten oder bekannt geworden sind.

Allerdings ist eine Alkaloidbestimmung in dem Mittel „Anti-Krebs“ nie ausgeführt worden, weil immer nur wenig Untersuchungsmaterial zur Verfügung stand. Es besteht daher die Möglichkeit, dass die seit langen Jahren im Garten in Kultur befindlichen Belladonnapflanzen alkaloidärmere Blätter lieferten als wilde Pflanzen.

Die von dem Referenten E. Wrede geäußerten Zweifel, ob in dem eingangs erwähnten von K. Patschowski geschilderten Fall überhaupt eine Belladonnavergiftung vorgelegen habe, erscheinen – ganz abgesehen von den abweichenden Symptomen – jedenfalls berechtigt, wenn man berücksichtigt, dass sogar die 3 – 4fache Maximaldosis von Folia Belladonnae in Form von „Anti-Krebs“ nur ausnahmsweise stärkere Schädigungen verursacht hat.

Anschrift des Verfassers: Prof. C. Griebel, Preuß. Landesanstalt f. Lebensmittel-, Arzneimittel- u. gerichtl. Chemie, Berlin-Charlottenburg

Quelle: Griebel, C.: Belladonnablätter-Vergiftung durch das Mittel „Anti-Krebs“. Sammlung von Vergiftungsfällen, A 626, Band 7, S. 151 - 152, 1936

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Stand: 31. Oktober 2007

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