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Vergiftung durch „Blutreinigungstee“. (Belladonnavergiftung? [Zusatz vom Referenten]) Von K. Patschowski. Ein 38jähriger Mann wurde im Oktober 1935 ins Krankenhaus eingeliefert, da sich bei ihm plötzlich schwere Krankheitssymptome gezeigt hatten. - Nach den Angaben des Kranken waren früher nie ähnliche Zustände beobachtet worden. Alkohol- und Nikotinvergiftung konnte ausgeschlossen werden. Am vorhergehenden Abend hatte der Mann einen Blutreinigungstee gekauft (Hersteller und Verkaufsstelle leider nicht angegeben). Er hatte sich abends durchaus wohl befunden, hatte wie immer gegessen, dann, nach dem Abendbrot gegen 21½ Uhr, von dem Tee getrunken. Der Tee war entsprechend der Vorschrift so hergestellt worden, dass ein Teelöffel voll mit einer Tasse Wasser aufgebrüht wurde; diese Tasse hatte er getrunken. Er war dann zu Bett gegangen. Gegen 1 Uhr war er durch ein Kribbeln am ganzen Körper wachgeworden, er hatte ein taubes Gefühl in den Fingern und Steifigkeit in den Händen verspürt und sich „gelähmt“ gefühlt, hatte auch nur schlecht sprechen und schlucken können. Kurz danach stellte sich Durchfall ein, auch kam es zu Erbrechen, das Erbrochene war breiig und mit Speiseresten durchsetzt. Er konnte nur schwer atmen und hatte am ganzen Körper das Gefühl, als würde er elektrisiert. Er war dann von dem herbeigerufenen Arzt ins Krankenhaus überwiesen worden. Die Untersuchung ergab folgendes: Der Kranke lag bei vollem Bewusstsein „etwas steif“ im Bett, der Puls war weich und klein, unregelmäßig und etwas beschleunigt, die Herztöne waren leise, ohne Nebengeräusche. Das Elektrokardiogramm zeigte Arrhythmie, ventrikuläre Extrasystolen und Vorhofflimmern. Bei der weiteren Untersuchung fand sich nichts Wesentliches, Nervensystem und Psyche waren in Ordnung, das Blutbild war normal, Pupillenstörungen waren nicht nachweisbar, obgleich darauf genau geachtet wurde. – Es wurde eine Magenspülung vorgenommen, bei der Schleim und Speisereste zutage gefördert wurden. Der Zustand besserte sich schon am folgenden Tag, der Puls wurde wieder kräftig und regelmäßig. Bei dem Suchen nach der Ursache der Erkrankung wurde der erwähnte Tee geprüft. In ihm konnten „nicht unerhebliche Mengen“ Tollkirschenwurzeln nachgewiesen werden. Es wird der Schluss gezogen, dass es um eine Vergiftung durch diese Droge handele; wahrscheinlich wäre von dem Kräutersammler die Wurzel mit der von Kletten verwechselt worden. Ausführlicher Bericht in Münch. Med. Wschr. 83, 180 (1936). Referent E. Wrede, Kiel. Anmerkung des Referenten: Der Verfasser gibt selbst zu, dass die beobachteten Symptome nicht mit denen einer Atropinvergiftung üblichen übereinstimmen. Er glaubt dies so erklären zu können, dass in den Wurzeln der Tollkirsche außer Atropin noch andere Alkaloide enthalten seien. – Auffällig ist das Fehlen der sonst bei Vergiftung durch Atropa Belladonna bekannten Erscheinungen: Die Erweiterung der Pupillen, die gerötete heiße, trockene Haut, die Trockenheit im Schlunde, die zerebralen Erregungssymptome, der „fliegende“ Atem und Puls, Krämpfe u.U. mit nachfolgenden Lähmungen. – Leider ist nur angegeben, dass der Tee „nicht unerhebliche Mengen“ Tollkirschenwurzel enthielt. Nehmen wir an, dass wirklich 10 % des Tees aus Radix Belladonna bestanden habe, und nehmen wir weiter an, dass ein Teelöffel des Tees 2,5 g gewogen habe, so würde der Kranke sich einen Aufguss von 0,25 g der Wurzel zugeführt haben. In der Wurzel ist sicherlich weniger Atropin als in den Blättern (Folia Belladonnae), nun soll die Toxizität der Wurzel beim Lagern bald erheblich nachlassen. Nun ist aber die erlaubte Einzelgabe von Folia Belladonnae 0,2 g, die Tagesgabe 0,6 g, bei welchen Dosen noch keine schwereren Vergiftungserscheinungen beobachtet werden! – Dem Referenten ist es unwahrscheinlich, dass es sich in dem geschilderten Fall um eine Vergiftung durch Radix Belladonnae handelte, weil, wie ausgeführt, die Dosis wahrscheinlich zu gering war und weil kein einziges Für Belladonnavergiftung charakteristisches Symptom beobachtet wurde. Auch würden sicherlich weitere Vergiftungen durch den in einem „Kräuterhaus“ verkauften Tee zur Kenntnis gekommen sein. Zudem glaubt Referent darauf hinweisen zu müssen, dass zu dem heute vielfach verkauften „Blutreinigungstee“ absichtlich und mit Recht kleine Mengen von Bestandteilen der Atropapflanze zugesetzt werden, dass somit eine „Verwechslung“ der Droge unwahrscheinlich ist. – Dem Referent scheint es somit nicht sicher, dass im vorliegenden Fall überhaupt eine Vergiftung vorgelegen hat. Quelle: Wrede, E.: Vergiftung durch „Blutreinigungstee“. Sammlung von Vergiftungsfällen, A 608, Band 7, S. 99 - 100, 1936 |
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